2.2.1 Einleitung des Verfahrens
Rz. 10
Nach § 3 AM-NutzenV sowie § 1 Abs. 2 des 5. Kapitels der VerfO-GBA wird die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 und 6 durchgeführt für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen
- die ab dem 1.1.2011 erstmals in den Verkehr gebracht werden, sofern erstmals ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff in den Verkehr gebracht wird;
- die ab dem 1.1.2011 erstmals in den Verkehr gebracht worden sind und die nach dem 1.1.2011 ein neues Anwendungsgebiet nach § 2 Abs. 2 erhalten;
- wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine Nutzenbewertung nach § 16 VerfO-GBA veranlasst;
- wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine Nutzenbewertung wegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nach § 13 VerfO-GBA veranlasst;
- auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers nach § 14 VerfO-GBA;
- für die der Gemeinsame Bundesausschuss über eine Nutzenbewertung mit Befristung beschlossen hat, wenn die Frist abgelaufen ist, sowie
- für Arzneimittel, die vor dem 1.1.2011 in den Verkehr gebracht worden sind und die nach dem 1.1.2011 ein neues Anwendungsgebiet nach § 2 Abs. 2 erhalten, sofern der Gemeinsame Bundesausschuss für das Arzneimittel bereits eine Nutzenbewertung nach § 16 VerfO-GBA veranlasst hat.
Rz. 11
Das Verfahren der Nutzenbewertung nach § 35a beginnt demnach nicht automatisch mit dem Inverkehrbringen eines neuen Arzneimittels beziehungsweise eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen, sondern setzt ein Tätigwerden entweder des pharmazeutischen Unternehmers oder des Gemeinsamen Bundesausschusses voraus. Dabei wird der pharmazeutische Unternehmer wohl in erster Linie dann tätig werden, wenn er ein Interesse an der Nutzenbewertung hat. Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses wird es sein, das Verfahren so zu regeln, dass möglichst kurze Bewertungs- und Beurteilungsfristen laufen. Den ersten Schritt in diese Richtung hat der Gemeinsame Bundesausschuss mit der Einführung des fünften Kapitels zu seiner Verfahrensordnung getan.
2.2.2 Neue Wirkstoffe
Rz. 12
§ 35a Abs. 1 enthält die Grundregeln für das Verfahren der Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist zuständig für die Bewertung des Nutzens von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Neue Stoffe im Sinne dieser Vorschrift sind Wirkstoffe, deren Wirkung bei der erstmaligen Zulassung durch die zuständige Behörde oder durch die Europäische Kommission der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind (so auch § 2 Abs. 1 AM-NutzenV) und die daher der Verschreibungspflicht unterliegen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG sowie die Verordnung [EG] Nr. 726/2004). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Neuregelung nicht für Generika oder sonstige Arzneimittel mit Wirkstoffen, deren Wirkung der medizinischen Wissenschaft allgemein bekannt ist, gilt.
Rz. 12a
Durch die Entscheidung des BSG v. 22.2.2023 (B 3 KR 14/21 R) waren Zweifel entstanden, ob tatsächlich sämtliche erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen der Nutzenbewertung mit anschließender Preisverhandlung unterliegen. Das BSG hatte insofern die Auffassung vertreten, § 35a biete dem Gemeinsamen Bundesausschuss keine Rechtsgrundlage für eine Bewertung des Zusatznutzens, wenn eine zweckmäßige Vergleichstherapie nicht bestimmt werden könne, weil es sich bei dem Arzneimittel um einen (therapeutischen) "Solisten" handele; ein begonnenes Nutzungsbestimmungsverfahren sei dann zu beenden. Mit der Änderung von Abs. 1 Satz 1 durch das ALBVVG (vgl. Rz. 4l) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nach der Systematik der §§ 35a und 130b für jedes erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, das keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wird, zwingend ein Erstattungsbetrag durch Vereinbarung oder Festsetzung bestimmt werden muss und der Gemeinsame Bundesausschuss hierfür im Rahmen der Nutzenbewertung eine zweckmäßige Vergleichstherapie festzulegen hat. Der Gesetzgeber sah die ansonsten entstehende Lücke im System der Preisregulierung für neue Arzneimittel als nicht akzeptabel an (BT-Drs. 20/7397 S. 57).
Rz. 13
Die Nutzenbewertung gilt hingegen auch für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar mit Festbetragsarzneimitteln sind und daher in eine Festbetragsgruppe einbezogen werden können (Abs. 1 Satz 4). Für den Nachweis des Zusatznutzens gelten bei Arzneimitteln mit Wirkstoffen, die pharmakologisch-therapeutisch mit Festbetragsmitteln vergleichbar sind, die Anforderungen für den Nachweis einer therapeutischen Verbesserung entsprechend § 35 Abs. 1b S. 1 bis 5. Das bedeutet, es ist ein Nachweis insbesondere durch Endpunktstudien zu erbringen. Bei Endpunktstudien handelt es sich um Studien, in denen das primäre Zielkriterium ein sog. harter klinischer Endpunkt (z. B. Herzinfarkt) und kein Surrogatparameter (z. B. Cholesterinsenkung) ist. Gegenüber dem bislang geltenden Recht bleiben somit die materiellen Voraussetzungen für eine Einbeziehung solcher Arzneimittel in die Festbeträge unverändert. Lediglich das Verfahren für die Ein...