I. Grundlegende Reformgesetze 2005: Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe und Reform des Scheidungsrechts
Rz. 1
Spanien mit seinem lange vom kanonischen Recht beeinflussten und auch von patriarchalischen Vorstellungen geprägten Familien- und Eherecht ist vielerorts noch bekannt als eines der Länder, in denen die Scheidung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht statthaft war. Aufgrund der Verfassung vom 31.10.1978 wurde die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in das Familienrecht aufgenommen, in dessen Folge das Scheidungsverbot wie auch die Pflicht zur Eheschließung in kanonischer Form beseitigt wurde (Gesetze vom 13.5.1981 bzw. 7.7.1981).
Rz. 2
Wenn diese Reformwerke schon eine grundlegende Änderung des spanischen Familien- und Eherechts bedeuteten, so können die Reformgesetze des Jahres 2005 – gegenüber dem Rechtszustand von nicht einmal 25 Jahren zuvor – geradezu als revolutionär bezeichnet werden. Daher seien schon hier das Gesetz Nr. 13/2005 vom 1.7.2005 sowie das Gesetz Nr. 15/2005 vom 8.7.2005 erwähnt: Mit Ersterem führte Spanien als viertes Land weltweit – nach den Niederlanden (als weltweit erstes Land 2001), Belgien (2003) und Kanada (wie Spanien ebenfalls 2005) – die gleichgeschlechtliche Ehe ein (also mehr als nur die registrierte gleichgeschlechtliche Partnerschaft) mit gleichen Rechten und Pflichten der Ehegatten, seien sie gleichen oder verschiedenen Geschlechts. Dies hat zu Änderungen in zahlreichen Normen des Código Civil geführt. Wegen der völligen rechtlichen Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit der klassischen Ehe beschränken sich die Änderungen in etlichen Vorschriften allerdings schlicht darauf, statt "Mann und Frau" (el hombre y la mujer) von "Ehegatte(n)" (cónyuge(s)) zu sprechen (u.a. Art. 66, Art. 67, Art. 637 Abs. 2, Art. 1323, Art. 1344 CC), statt von "Mutter und Vater" (el padre y la madre) von "Eltern" (Elternteil – progenitor(es)), u.a. Art. 154 Abs. 1, Art. 160 Abs. 1, Art. 164 Abs. 2, Art. 175 Abs. 4 und Art. 178 Abs. 2 CC.
Rz. 3
Mit dem weiteren Reformgesetz (Gesetz 15/2005 vom 8.7.2005) wurde ein neues Scheidungsrecht eingeführt, wodurch die Scheidung erheblich vereinfacht wurde. Bei einer einverständlichen Scheidung kann diese nach nur drei Monaten Ehezeit beantragt werden. Konkrete Scheidungsgründe wie Untreue, Alkoholismus oder Misshandlungen müssen im Prozess nicht mehr vorgetragen werden. Im Sorgerechtsverfahren muss die Entscheidung nicht mehr zugunsten eines Elternteils erfolgen, vielmehr kann der Richter nunmehr ein gemeinsames Sorgerecht anordnen. Eine weitere "Modernisierung" erfuhr das Scheidungsrecht mit der umfassenden Neuregelung des Rechts der "Freiwilligen Gerichtsbarkeit" durch das Gesetz 15/2015, womit die "Privatscheidung", zumindest für Ehepaare ohne minderjährige Kinder, eingeführt wurde.
Rz. 4
Beide Gesetzeswerke sind Bestandteil eines umfassenden Reformpakets der damaligen spanischen (sozialistischen) Regierung unter Ministerpräsident Zapatero nach der Abwahl der (konservativen) Regierung von Aznar im Jahre 2004. Begründet wurden beide Reformwerke u.a. damit, dass den Veränderungen in der Gesellschaft und den damit verbundenen Anschauungen der letzten Jahrzehnte – gerade was das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare zum einen und die Scheidungshäufigkeit zum anderen angeht – schlicht Rechnung getragen wird. Ein weiterer vom Gesetzgeber angeführter – wenn auch in der Konsequenz recht spitzfindig bzw. bizarr erscheinender – Grund für die Reform verdient Erwähnung. Verwiesen wird auf das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit und das Verbot der Diskriminierung: Wenn ein Mann im Gegensatz zu einer Frau keinen Mann heiraten könne, sei er ihr gegenüber diskriminiert und entsprechend umgekehrt. Dass solche tief greifende Änderungen des Familienrechts im durchaus (auch oder gerade) in katholischer Tradition stehenden Spanien – teils heftige – Kritik in Gesellschaft und Politik, aber auch in der Lehre und Rechtsprechung hervorgerufen haben, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Auf verfassungsrechtlichen Bedenken wurde zunächst reagiert mit einer streng wörtlichen Auslegung des Art. 32 Constitución Española (CE), worin verankert ist, dass die Ehe durch Mann und Frau begründet wird, gleichzeitig aber nicht festgelegt ist, dass dies mit ausschließlichem Charakter geschehe, also nicht mehr ausschließlich auf die Eheschließung miteinander bezogen werde. So kann bzw. konnte Art. 32 CE unverändert Bestand haben. Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, die heftige Diskussion scheint vorbei – die (fast) vollkommene Gleichstellung der homosexuellen mit der heterosexuellen Ehe ist schlicht geltendes Recht.
Rz. 5
Damaligen Umfragen zufolge wurde die "Homo-Ehe" bereits von einer großen Mehrheit der Spanier gebilligt. Bei den Parlamentswahlen von 2011 war der Partido Popular als klarer Sieger mit absoluter Mehrheit hervorgegangen. Die damalige Befürchtung, die konservative Volkspartei (PP) werde einige der Reformen der Vorgängerregierung zurückdrehen, hatte sich nicht bestätigt. Die "Homo-Ehe" ist in der Gesel...