Alexander Steinmetz, Rocío García Alcázar
Rz. 241
Es gilt der Grundsatz iura novit curia auch im spanischen Recht, aber erstreckt sich nicht auf ausländisches Recht. Ausländisches Recht wird im Prozess vor spanischen Gerichten wie eine Tatsache behandelt. Dies galt schon nach der wiederholt bestätigten Rechtsprechung des spanischen Obersten Gerichtshofes (Tribunal Supremo) so, hat seit 1974 auch Gesetzeskraft erhalten – zunächst mit der Reform des spanischen IPR in Form des Art. 12.6 Abs. 2 CC und nunmehr mit Inkrafttreten der neuen spanischen Zivilprozessordnung (LEC 2000) in dessen Art. 281.2. Darin ist zunächst bestimmt, dass Beweisgegenstand das ausländische Recht sei. Wer sich auf ausländisches Recht beruft, hat seinen Inhalt und seine Geltung mit den im spanischen Recht zugelassenen Beweismitteln nachzuweisen.
Rz. 242
Hinsichtlich der Möglichkeiten des Beweises von Inhalt und Gültigkeit ausländischen Rechts zeigt sich die spanische ZPO insoweit "großzügig", als grundsätzlich alle erforderlichen Erkenntnismittel, die für die Anwendbarkeit notwendig sind, zugelassen werden (Art. 281.2 S. 3 LEC 2000). Nach der Rechtsprechung des Tribunal Supremo soll das fremde Recht von den Parteien mittels eines sog. certificado de ley (Gutachten zum ausländischen Recht) in den Prozess eingebracht werden. Dabei haben zwei in dem Land, dessen Recht in das Verfahren eingebracht wird, zugelassene Rechtsanwälte die aufgeworfene Frage nach ihrem, dem anwendbaren Recht, darzustellen. Deren Unterschriften müssen dann von einer spanischen Urkundsperson, etwa dem spanischen Generalkonsul, oder von einem ausländischen Notar beglaubigt und mit der Apostille versehen werden (vgl. Art. 323.2 Nr. 2 LEC 2000). Darauf kann dieses Zertifikat – das certificado de ley – zum Beweis des ausländischen Rechts in den Prozess eingeführt werden. Der Richter kann sich aber auch aller von ihm für erforderlich gehaltenen Erkenntnismittel bedienen und hierzu die zweckdienlichen Verfügungen erlassen (Art. 281.2 S. 3 LEC 2000). Die Gerichte vertreten inzwischen insoweit die Auffassung, dass die Gerichte auch selbst eine aktive Rolle bei der Ermittlung des Inhalts der fremden Rechtsordnung übernehmen können.
Rz. 243
Anders als für den deutschen Richter, dem nach § 293 ZPO die Pflicht zur Ermittlung des anwendbaren ausländischen Rechts ("iura novit curia") obliegt, besteht für den spanischen Richter keine solche Pflicht; das Gesetz hat sein Tätigwerden in Art. 281.2 S. 3 LEC 2000 (wie inhaltsgleich zuvor in Art. 12.6 Abs. 2 CC) lediglich als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet.
Rz. 244
Gelingt der Beweis nicht, hat der spanische Richter gem. Art. 33 Abs. 3 Ley 29/2015 ausnahmsweise das eigene, spanische Recht anzuwenden (str.). Unklar ist, ob in derartigen Fällen gemeinspanisches Recht oder das einer Teilrechtsordnung als subsidiär anwendbares Recht maßgeblich ist. Da die EuErbVO das Grundkonzept nach einem Gleichlauf von anwendbarem Recht einerseits und gerichtlicher Zuständigkeit andererseits anstrebt, mag das Konfliktpotenzial gering sein, weil regelmäßig ein Gericht des Staates zur Entscheidung berufen sein dürfte, dessen materielles Recht zur Anwendung gelangt. Ist ein spanisches Gericht nach der EuErbVO gem. Art. 21, 22 gehalten, das Recht eines anderen Staates anzuwenden, stellt sich aber die Frage, ob die Anwendung fremden Rechts durch Art. 281.2 LEC letztlich "ausgehebelt" werden kann oder ob in solchen Fällen (zur praktischen Durchsetzung der europäischen Kollisionsnorm) eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung von Art. 281 LEC geboten ist und somit eine Amtsermittlungspflicht des spanischen Richters begründet wird.
Rz. 245
Der Beweis des ausländischen Rechts ist nach der Rechtsprechung des Tribunal Supremo allerdings dann nicht notwendig, wenn bei den Parteien Einigkeit über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts bestünde und deren Normen den spanischen orden público nicht berühren. Mit der Revision kann, wenn auch unter Beachtung von Besonderheiten, eine Verletzung des materiellen ausländischen Rechts durch das spanische Gericht gerügt werden.