Alexander Steinmetz, Rocío García Alcázar
I. Vorbemerkung
Rz. 203
Dem Grundsatz nach lässt die EuErbVO die innerstaatlichen mitgliedstaatlichen Vorschriften betreffend die Zuständigkeit in Erbsachen unberührt (Art. 2 EuErbVO). Es gilt somit weiterhin der nach spanischem Recht gültige Grundsatz der freien Wahl des Notars beispielsweise für die Errichtung von Erbteilungsurkunden, letztwilligen Verfügungen etc. Die internationale Zuständigkeit nach mitgliedstaatlichem Recht wird nur insoweit von den Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO verdrängt, als es um die gerichtliche Zuständigkeit geht. "Gerichtliches Tätigwerden" in diesem Sinne kann allerdings auch in notariellem Handeln bestehen. Nach deutschem Verständnis nachlassgerichtliche Aufgaben wie die Erteilung eines Erbscheins bei gesetzlicher Erbfolge (acta de notoriedad, der notarielle Erbschein) sind den Notaren übertragen und somit von den Regelungen der internationalen Zuständigkeit der EuErbVO betroffen.
Rz. 204
Das Europäische Nachlasszeugnis schließt nicht die Möglichkeit aus (jedenfalls in rein innerstaatlichen, wohl aber auch staatenübergreifenden Sachverhalten), das "nationale Erbscheinsverfahren" zu betreiben (Art. 62 Abs. 2 EuErbVO). Das (ausländische) ENZ kann sich gegenüber dem deutschen Erbschein (vgl. Rdn 225 ff.) insoweit als nachteilig erweisen, weil das spanische Grundbuchamt die (umfangreiche und somit kostenaufwändige) Übersetzung des ENZ ins Spanische verlangen kann.
Voraussetzung für das nationale Erbscheinsverfahren ist allerdings, dass sich die internationale Zuständigkeit aus der EuErbVO selbst – und nicht nur aus dem mitgliedstaatlichen Recht – ableiten lassen muss. Insoweit bleiben die nachfolgenden Ausführungen zum spanischen Erbverfahrensrecht unverändert gültig, soweit eine Zuständigkeit der spanischen Gerichte bzw. Notariate gemäß EuErbVO gegeben ist. Nach Maßgabe der Schlussbestimmung 26 der spanischen ZPO (LEC) sind die Notare (Ziff. 14) und die Gerichte, die über die Nachlasssache entscheiden (Ziff. 11), zuständig. Spanien hat der EU-Kommission gem. Art. 79 Abs. 1 EuErbVO mitgeteilt, dass die Notare gerichtliche Funktionen in den Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (nachfolgend Rdn 207 ff., Rdn 216 ff. und für die Ausstellung des ENZ) ausführen. Das Gesetz regelt die Zuständigkeiten und die Verfahrensweise für Erteilung des ENZ indes allenfalls rudimentär. In Anlehnung an die Vorschriften zum Erbschein in gesetzlicher Erbfolge ist vorzugehen, wenn das ENZ eine gesetzliche Erbfolge ausweisen soll (Rdn 216 ff.), oder es ist auf die Zuständigkeiten für die Eröffnung von Testamenten abzustellen, wenn es sich um geschlossene oder handschriftliche Testamente handelt (Rdn 207 ff.). Ist für den Nachweis der Erbfolge keines der vorangehenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einzuleiten, hat der Antragsteller freie Wahl. Der Antragsteller kann sich in dem spanischen Verfahren zwar vertreten lassen, die Versicherung der Wahrheit seiner tatsächlichen Angaben muss er persönlich – ggf. in der Vollmacht selbst – abgeben.
Rz. 205
Charakteristikum der spanischen Erbverfahrenslandschaft ist das institutionelle Zusammenspiel zwischen Notar und Gericht. Hierbei spielt der Notar die Hauptrolle, insbesondere dann, wenn im Rahmen der vorsorgenden Rechtspflege eine letztwillige Verfügung des Erblassers notariell protokolliert worden ist. Ein dem deutschen Testamentseröffnungs- und anschließenden Erbscheinsverfahren vergleichbares allgemeines Verfahren kennt das spanische Recht nicht. In die Domäne des Notars im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (jurisdicción voluntaria) gehören die Verfahren im Zusammenhang mit der Eröffnung des eigenhändigen Testaments (Art. 689–693 CC) und des verschlossenen Testaments (Art. 714 CC), also der verschlossenen Schrift, die der Erblasser dem Notar mit dem Bemerken übergeben hat, es handele sich um seinen letzten Willen. Auch für die Erteilung des notariellen Erbscheins bei gesetzlicher Erbfolge (Rdn 217 ff.) oder des Europäischen Nachlasszeugnisses (Rdn 204) sind die Notare zuständig. Werden Erbsachen dagegen streitig, wird die gerichtliche Zuständigkeit eröffnet, insbesondere bei der Erbteilung (Art. 782 ff. LEC 2000).
Rz. 206
Mit dem Gesetz 15/2015, de 2 de julio, de la Jurisdicción Voluntaria sind in dem Gesetz betreffend die freiwillige Gerichtsbarkeit nunmehr die zuvor an verschiedenen Stellen verteilten Vorschriften des Nachlassverfahrens zu einem guten Teil konzentriert worden.