Alexander Steinmetz, Rocío García Alcázar
1. Einführung
Rz. 55
Seit dem Inkrafttreten der EuErbVO tritt für die Bestimmung des Erbstatuts an die Stelle des objektiven Anknüpfungskriteriums der Staatsangehörigkeit des Erblassers (Art. 9.8 CC) nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO der "gewöhnliche Aufenthalt" des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes. Hat der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt im spanischen Staatsgebiet (und hat er keine Rechtswahl zugunsten des Rechts seiner Staatsangehörigkeit getroffen), so findet auf ihn spanisches Erbrecht Anwendung. Die Relevanz des spanischen Erbrechts für deutsche Staatsangehörige liegt im Hinblick darauf, dass derzeit etwa 126.000 deutsche Staatsangehörige in Spanien ansässig sind, auf der Hand. Im spanischen Staatsgebiet stehen allerdings mehrere Teilrechtsordnungen mit jeweils eigenen Erbrechten gleichberechtigt nebeneinander, so dass für jeden Erbfall konkret geprüft werden muss, welche der spanischen Teilrechtsordnungen das Erbstatut ausfüllt.
Rz. 56
Der Lösung des interregionalen Normenkonflikts kommt essentielle Bedeutung zu. Die Erbrechte (insbesondere die Pflichtteilsrechte und das Ehegattenerbrecht) weisen in den einzelnen Teilrechtsordnungen erhebliche Unterschiede auf, so dass der Gebietszugehörigkeit häufig streitentscheidende Rolle zukommt. Wird beispielsweise ein gemeinschaftliches Testament (testamento de hermandad) durch den Erblasser in der irrigen Annahme errichtet, er sei Angehöriger der Teilrechtsregion Navarra, besitzt er aber schon zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die katalanische vecindad civil, ist das errichtete gemeinschaftliche Testament nichtig.
Rz. 57
Die Anwendbarkeit spanischen Rechts ist nicht gleichbedeutend mit der Anwendbarkeit des Erbrechts des gemeinspanischen Código Civil. In einigen Regionen beanspruchen besondere Rechte Geltung, die sog. Foralrechte. Besondere Bedeutung haben die Sonderrechte auf dem Gebiet des Ehe- sowie vor allem des Erbrechts. Nach Art. 13 CC genießen sie Vorrang vor dem Código Civil, dessen Erbrecht in den Sonderrechtsgebieten lediglich subsidiär gilt – lückenfüllend als derecho supletorio. Spanien ist sonach – nicht nur, aber insbesondere – in erbrechtlicher Hinsicht ein Mehrrechtsstaat. Unterliegt der Erbfall nach einem deutschen Staatsangehörigen gem. Art. 21 EuErbVO aufgrund seines gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt des Erbfalls in Spanien spanischem Recht, bleibt noch zu klären, welche spanische Teilrechtsordnung maßgeblich ist (siehe Rdn 83 ff.). Nicht nur für den rein innerspanischen (Art. 38 EuErbVO), auch für den internationalen Erbfall ist dieser Normenkonflikt grundsätzlich durch das interregionale spanische Kollisionsrecht geregelt.
Rz. 58
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Gebiete und Foralrechte: Aragón (siehe Rdn 186 ff.), die Balearen (siehe dazu den Länderbeitrag Spanien: Balearen), Baskenland (siehe Rdn 190 ff.), Galicien (siehe Rdn 193 ff.), Katalonien (siehe dazu den Länderbeitrag Katalonien) sowie Navarra (siehe Rdn 199 ff.).
Rz. 59
Somit gelten in Spanien nebeneinander – einschließlich des Código Civil – auf regionaler Ebene sieben verschiedene Erbrechtsordnungen.
Rz. 60
Zudem ist auf örtliches erbrechtliches Gewohnheitsrecht in Asturien und Murcia hinzuweisen.
Rz. 61
Das Erbrecht ist darüber hinaus teilweise innerhalb des Anwendungsbereichs einer Teilrechtsordnung interlokal gespalten. Dies wird als "conflicto interlocal" bezeichnet. Besonders relevant ist der interlokale Normenkonflikt für die Balearen und das Baskenland. Die Inseln Mallorca, Menorca einerseits sowie Ibiza (gemeinsam mit Formentera) andererseits besitzen jeweils ein eigenes Erbrecht. Gelangt balearisches Recht nach Maßgabe der Normen des interregionalen Kollisionsrechts zur Anwendung, ist in derartigen Fällen weiter zu klären, welches Recht welcher Insel zur Anwendung gelangt.