Sachverhalt
Mit dem Urteil hat der EuGH entschieden, dass die Umsatzsteuerbefreiung der Forschungstätigkeit der staatlichen Hochschulen (§ 4 Nr. 21a UStG) gegen Artikel 2 der 6. EG-Richtlinie verstößt. Der EuGH ist insoweit den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt.
Stellt der EuGH wie im vorliegenden Fall fest, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem EG-Vertrag verstoßen hat (dazu gehört auch der Verstoß gegen Sekundärrecht), so hat der Staat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben (Artikel 228 Abs. 1 EG). Als Folge des Urteils ist die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21a UStG aufzuheben.
Entscheidung
Das EuGH-Urteil bestätigt eindeutig die seinerzeit von der Bundesregierung vertretene Auffassung, dass eine Steuerbefreiung für die Forschungsumsätze der Hochschulen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbaren ist. Gleichzeitig erweist sich, dass die EG-rechtliche Einschätzung, von denen die gesetzgebenden Körperschaften wohl ausgegangen waren, falsch war.
Hochschulen, die von sich aus - jetzt schon - eine Steuerpflicht ihrer Umsätze begehren, können sich unmittelbar auf das EuGH-Urteil berufen. In diesen Fällen müsste sofort entsprechend dem EuGH-Urteil verfahren werden. Allerdings äußert der EuGH sich nicht zur zeitlichen Dimension der Vertragsverletzung. Es ist nicht erkennbar, ob die Steuerbefreiung ex tunc oder ex nunc aufzuheben ist. Eine rückwirkende Aufhebung der Befreiung könnte eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung bedeuten, es sei denn, dass im Einzelfall die Hochschule aufgrund des ihr bei der Steuerpflicht ihrer Umsätze zu gewährenden Vorsteuerabzugs entsprechende Überhänge hätte. Legt der EuGH eine Gemeinschaftsnorm aus, kann er nur ausnahmsweise auf der Basis des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit mit Wirkung für alle Betroffenen anordnen, dass diese sich nicht auf seine Auslegung berufen dürfen, um Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, die sie in gutem Glauben begründet haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes muss eine solche Beschränkung in dem Auslegungsurteil selbst enthalten sein. Bei der Entscheidung darüber, ob die Tragweite eines Urteils zeitlich zu begrenzen ist, berücksichtigt der EuGH, dass zwar bei allen gerichtlichen Entscheidungen deren praktische Auswirkungen sorgfältig abzuwägen sind, dies aber nicht so weit gehen darf, dass die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden wird, nur weil eine Gerichtsentscheidung für die Vergangenheit gewisse Auswirkungen haben kann.
Im vorliegenden Fall konnte nicht angenommen werden, dass die Steuerbefreiung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Deshalb dürften keine zwingenden Gründe der Rechtssicherheit vorliegen, die es ausschließen, dass Altfälle (auch bestandskräftige Steuerfestsetzungen) - auf Betreiben der Hochschulen - auf Grund des EuGH-Urteils neu aufgerollt werden können.
Hinweis
Es fällt auf, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht verurteilt worden ist, für die Vergangenheit Mehrwertsteuer-Eigenmittel, die der Union durch die Steuerbefreiung entgangen sind, an die Gemeinschaft nachzuentrichten. Offensichtlich waren mit der Steuerbefreiung keine Steuermindereinnahmen verbunden, die durch die Nachzahlung von Mehrwertsteuer-Eigenmitteln auszugleichen wären. Demnach stehen bei einer Steuerpflicht den Ausgangsumsätzen der Hochschulen Vorsteueransprüche in etwa gleicher Höhe (oder mehr ?) gegenüber.
Grundsätzlich bemerkenswert an der Begründung des Urteils ist, dass sich nach Auffassung des EuGH die Steuerpflicht eines Umsatzes (hier der Forschungsleistungen) unmittelbar aus Artikel 2 der 6. EG-Richtlinie (dort ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die Steuerbarkeit eines Umsatzes normiert), und nicht im Umkehrschluss aus Artikel 13 (Steuerbefreiungen) dadurch ergibt , dass dort eine entsprechende Befreiungsregelung nicht existiert.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 20.06.2002, C-287/00