Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung von Artikel 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.207: Artikel 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL). Nach dieser Richtlinienvorschrift befreien die Mitgliedstaaten die Verwaltung von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen (den Zusatz "durch Kapitalanlagegesellschaften" in der deutschen Sprachfassung enthält Artikel 135 Abs. 1 Buchst. g. MwStSystRL im Gegensatz zu Artikel 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie nicht mehr). Fraglich war, wie der Begriff des Sondervermögens auszulegen ist, insbesondere, ob darunter auch geschlossene Investmentfonds fallen.
Die Streitsache ergab sich wie folgt: Im Vereinigten Königreich war bislang die Verwaltung von "Authorised Unit Trusts" (zugelassene Investmentfonds, AUT) sowie von "Open-ended Investment Companies" (offene Investmentgesellschaften, OEIC) in Anwendung von Artikel 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie umsatzsteuerfrei. AUT und OEIC sind "offene" Fonds, d.h. sie verfügen über einen veränderlichen Kapitalbestand. Die Anzahl der Anteile (im Fall von AUT) oder Aktien (im Fall von OEIC) ist nicht festgelegt, sondern steigt und fällt je nach Nachfrage der Investoren.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist jedoch eine "Investment Trust Company" (Kapitalanlagegesellschaft, ITC), der gegenüber Verwaltungsdienstleistungen bezüglich ihrer Investmentgeschäfte erbracht wurden, und zwar von einem Dritten, der JP Morgan Fleming Asset Management Ltd. Die britische Mehrwertsteuerbehörde hatte diese Verwaltungsdienstleistungen an die ITC gemäß den britischen MwSt-Bestimmungen als steuerpflichtig behandelt. ITC werden als "geschlossene Fonds" bezeichnet, da sie gegenüber den Aktionären nicht zum Rückkauf von Aktien verpflichtet sind.
Die AUT, OEIC und ITC ermöglichen Privatanlegern, die normalerweise nur vergleichsweise geringe Geldbeträge anlegen können, die Reduzierung des Börsenrisikos, da in breite Anlageportfolios investiert werden kann. Die Richtlinie 85/611/EWG (sog. OGAW-Richtlinie) hat die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich Organismen für gemeinsame Anlagen des nicht geschlossenen Typs (6. Begründungserwägung) koordiniert. Die Organismen, auf die sich die Richtlinie bezieht ("Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren" - OGAW) werden in Artikel 1 definiert und "können nach einzelstaatlichem Recht die Vertragsform (von einer Verwaltungsgesellschaft verwaltete Investmentfonds), die Form des Trust ("unit trust") oder die Satzungsform (Investmentgesellschaft) haben". Die AUT und OEIC können eine OGAW im Sinne der Richtlinie 85/611/EWG darstellen, da sie die Voraussetzungen von Artikel 1 erfüllen. Die ITC dagegen werden durch Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie ausgeschlossen (so das Vorlagegericht).
Das Vorlagegericht fragte, ob der Begriff des Sondervermögens im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie auch geschlossene Investmentfonds wie ITC umfasst. Das Gericht fragte weiter, ob ein Mitgliedstaat ggf. auch die Steuerbefreiung der Verwaltung von Sondervermögen auf bestimmte Arten von Sondervermögen beschränken darf bzw. ob die Formulierung in der 6. EG-Richtlinie "durch die Mitgliedstaaten als solche definierten" (Sondervermögen) bedeutet, dass die Mitgliedstaaten alle in ihrem Hoheitsgebiet angesiedelten Fonds bestimmen müssen, die unter den Begriff "Sondervermögen" fallen, und dass sich die Steuerbefreiung dann auf alle diese Fonds erstreckt. Schließlich fragte das Gericht, ob die Richtlinienvorschrift einem Steuerpflichtigen das Recht der unmittelbaren Berufung eröffnet.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass der Begriff des Sondervermögens auch geschlossene Investmentfonds wie einen ITC umfassen kann. Der Gerichtshof hebt zunächst auf sein Urteil in der Sache Abbey National - EuGH, Urteil vom 4.5.2006, C-169/04 (Abbey National) - ab. Danach kommt es bei der Behandlung der Verwaltung von Sondervermögen nicht auf die Rechtsform an, unter der sie geführt werden. Gleiches gilt - insbesondere mit Blick auf den Grundsatz der Neutralität - nach dem jetzigen Urteil auch für die operative Form eines Sondervermögens. Die OGAW-Richtlinie kann hier keine einschränkende Rolle spielen, da sie nicht für die Auslegung des Begriffs des Sondervermögens herangezogen werden darf (weil die OGAW-Richtlinie später als die 6. EG-Richtlinie erlassen wurde). Unerheblich für die Beurteilung ist, ob ein Fonds sich für seine Verwaltung eines Dritten bedienen muss oder ob er dies in Eigenregie leisten kann.
Die Frage, wie die Wendung "durch die Mitgliedstaaten als solche definierten" (Sondervermögen) auszulegen ist, hat der EuGH wie folgt beantwortet: Die Mitgliedstaaten dürfen keine Wahl darüber treffen, welche Sondervermögen sie begünstigen wollen und welche nicht. Die das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen der Definition ist insoweit eingeschränkt, als sie den eigenständigen gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Sondervermögens dabei zu be...