1 Leitsatz
Eine Vereinbarung, die den Inhabern von Tiefgaragenstellplätzen kein Stimmrecht gewährt, ist nichtig.
2 Normenkette
WEG § 10 Abs. 2 Satz 2; BGB § 134
3 Sachverhalt
Nach der Gemeinschaftsordnung haben die Inhaber von Tiefgaragenstellplätzen kein Stimmrecht. Da unklar ist, ob diese Regelung wirksam ist, ist auch unklar, was gilt, nähme man ihre Unwirksamkeit an.
4 Entscheidung
Der Ausschluss der Teileigentümer vom Stimmrecht ist nach Ansicht des LG nichtig. Zwar sei § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG abdingbar, soweit nicht das Wohnungseigentumsgesetz in Einzelfällen die Abstimmung nach Köpfen vorsieht. Die für Vereinbarungen geltende Gestaltungsfreiheit habe aber dort eine Grenze, wo die personenrechtliche Gemeinschaftsstellung der Wohnungseigentümer ausgehöhlt werde. Der Ausschluss des Stimmrechts eines Wohnungs- oder Teileigentümers sei danach verboten (BGH, Beschluss v. 11.11.1986, V ZB 1/86, NJW 1987 S. 650, 651; BGH, Urteil v. 10.12.2010, V ZR 60/10, NJW 2011 S. 679 Rz. 6). Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG habe jeder Eigentümer daher eine Stimme. Da die Wohnungseigentümer vom Wertstimmrecht ausgegangen seien, liege ein formeller Beschlussmangel vor. Bei formellen Fehlern scheide allerdings eine Ungültigerklärung aus, wenn mit Sicherheit – nicht nur hoher Wahrscheinlichkeit – feststehe, dass der jeweilige Beschluss auch bei ordnungsgemäßem Verfahren gefasst worden wäre (LG München I, Urteil v. 24.6.2010, 36 S 12044/09). So läge es im Fall.
Hinweis
Im Fall wird erstens angesprochen, wann eine Vereinbarung nichtig ist. Dies ist der Fall, wenn sie gegen § 134 BGB oder § 138 BGB verstößt. Ferner ist das der Fall, wenn das Gesetz nicht abgeändert werden kann. So ordnet dies etwa § 16 Abs. 5 WEG für bestimmte Vereinbarungen an. Dass das Stimmrecht nicht ausgeschlossen und grundsätzlich auch nicht eingeschränkt werden kann, steht hingegen nirgendwo. Die Idee, es gebe einen "Kernbereich" von Rechten eines Wohnungseigentümers, die weder entziehbar noch verzichtbar oder jedenfalls unentziehbar, aber verzichtbar seien, ist eine Rechtsprechung, die das überwiegende Schrifttum teilt.
Hierin ist allerdings eine Büchse der Pandora zu sehen. Gibt es einen Kernbereich, muss man nämlich die Rechte nennen, die ihm zugehörig sind. Diese Zuschreibung ist das Ergebnis einer individuellen Abwägung. Diese Abwägung fällt zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Personen naturgemäß anders aus. Ist etwa das Recht auf ein (Haus-)Tier, auf (Haus-)Musik oder auf Rauchen ein Kernrecht? Und wie ist es mit Cannabis, Grillen oder Duftstoffen? Bei diesen Fragen liegt noch einiges im Argen.
Der Verwalter sollte aber wissen, dass – wie es das LG ausführt – jedenfalls das Stimmrecht gleichsam als "heilig" und als nicht entziehbar angesehen wird (in Mehrhausanlagen und bei bestimmten Beschlussgegenständen soll freilich anderes gelten). Findet er in einer Gemeinschaftsordnung die Bestimmung, es gebe ein stimmrechtsloses Eigentum, sollte er daher die Wohnungseigentümer (und Teileigentümer) darauf hinweisen, dass die Bestimmung unwirksam ist.
Ist eine Bestimmung unwirksam, gilt das Recht, was sie abbedingen wollte. In der betreffenden Wohnungseigentumsanlage hat daher jeder Teileigentümer (wieder) das gesetzliche Kopfstimmrecht. Problematisch wäre allerdings, wenn im Übrigen ein abweichendes Stimmrechtsprinzip anzuwenden ist: kann es sein, dass für die Wohnungseigentümer das Wertstimmrecht gilt, für die Teileigentümer an Garagenstellplätzen aber das Kopfstimmrecht? In der Wohnungseigentumsanlage stellte sich dieser Konflikt. Ein Rechtsanwalt hatte empfohlen, dass alle Eigentümer nach dem Wertstimmrecht abstimmen. Ich stimme dem – anders als das LG – zu. Meinte man, das LG läge richtig, stellt sich die Frage, was gilt, wenn der Verwalter versehentlich einem Teileigentümer ein Wertstimmrecht zuordnet. Insofern ist dem LG zu folgen, dass das nicht schlimm ist, solange sich der Fehler, wie im Fall, nicht auswirkt.
Hinweis: Kernbereich bei Beschlüssen
Auch ein Beschluss ist nach ganz h. M. nichtig, wenn er in den "Kernbereich des Wohnungseigentums" eingreift. Zu einem als "dinglich" zu beschreibenden Kernbereich werden häufig die Veränderungen der sachenrechtlichen Grundlagen des Wohnungseigentums gezählt. Also die Begründung, Aufhebung oder Änderung der Miteigentumsanteile oder des Sondereigentums und die nachträgliche Umwandlung gemeinschaftlichen Eigentums in Sondereigentum. Diese Bereiche sind indessen schon deshalb beschlussfest, weil es nicht um die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums geht und keine Beschlusskompetenz besteht. Zum als "mitgliedschaftlich" zu verstehenden Kernbereich des Miteigentums sollen die Rechte eines Wohnungseigentümers gehören, die sein Eigentum in besonderer Weise "auszeichnen", vor allem die Verwaltungsrechte. Überblick:
- Einberufung einer Versammlung. Nicht abdingbar soll das Recht der Minderheit sein, gem. § 24 Abs. 2 WEG die Einberufung einer Versammlung der Eigentümer verlangen zu können.
- Stimmrecht. Nach Ansicht des BGH ist das Stimmrecht "mitgliedschaftlich". Danach ist ...