Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob die Lieferfahrzeuge das gemeinschaftliche Eigentum oder das Sondereigentum oder beide Rechte beeinträchtigen. Daneben ist zu beantworten, ob B überhaupt gegen die Bestimmungen der Wohnungseigentümer verstößt: Immerhin hatten die Wohnungseigentümer erlaubt, dass Lieferfahrzeuge die Durchfahrt vorübergehend versperren dürfen.
Wo findet eine Störung statt?
Die WEG-Reform macht es notwendig, zu fragen, ob es sich bei einer behaupteten Störung um eine solche des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums handelt. Die Antwort auf diese Frage ist für die Wohnungseigentümer, aber auch für Verwaltungen sehr wichtig! Wird nämlich das gemeinschaftliche Eigentum gestört, muss die Verwaltung gegebenenfalls einschreiten. Jedenfalls muss sie die Wohnungseigentümer informieren und für eine Willensbildung sorgen. Der BGH hatte in den letzten Monaten mehrfach Gelegenheit, für eine Aufklärung und eine Abgrenzung der verschiedenen Bereiche zu sorgen. Fasst man seine Entscheidungen zusammen, wann von einer Störung des Sondereigentums auszugehen ist, ergibt sich grob folgendes Bild:
Fall 1: Ein Wohnungseigentümer kann im Bereich seines Sondereigentums Lärm wahrnehmen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass der Lärm auch im gemeinschaftlichen Eigentum wahrzunehmen ist, ist unerheblich.
Fall 2: Ein Wohnungseigentümer kann im Bereich seines Sondereigentums Gerüche wahrnehmen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass die Gerüche auch im gemeinschaftlichen Eigentum wahrzunehmen sind, ist unerheblich.
Fall 3: Ein Sondereigentum wird verschattet. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass auch das gemeinschaftliche Eigentum verschattet wird, ist unerheblich.
Fall 4: Einem Sondereigentum wird die Aussicht genommen. Lösung: Es kann eine Störung des Sondereigentums vorliegen. Der Umstand, dass auch das gemeinschaftliche Eigentum eine Beeinträchtigung erfährt, ist unerheblich.
Fall 5: Der Zugang zum Sondereigentum wird durch eine Störung im gemeinschaftlichen Eigentum vereitelt. Lösung: Das Sondereigentum wird gestört. Der Umstand, dass auch das gemeinschaftliche Eigentum eine Beeinträchtigung erfährt, ist unerheblich.
Fall 6: Der Zugang zum Sondereigentum wird durch eine Störung im gemeinschaftlichen Eigentum erschwert. Lösung: Das Sondereigentum wird nicht gestört.
Fall 7: Dem Sondereigentum drohen Gefahren durch eine Verletzung des öffentlichen Rechts im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums. Lösung: Das Sondereigentum wird nicht gestört.
Fall 8: Das Sondereigentum erleidet Schäden durch Baumaßnahmen im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums. Lösung: Das Sondereigentum wird nicht gestört.
Fall 9: Die Statik des Sondereigentums wird durch eine Maßnahme im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums gefährdet. Lösung: Das Sondereigentum wird nicht gestört.
Fall 10: Durch eine Störung im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums sinkt der Verkehrswert des Sondereigentums und dessen Vermietbarkeit wird erschwert. Lösung: Das Sondereigentum wird nicht gestört.
Störung des gemeinschaftlichen Eigentums
Betrifft eine rechtswidrige Störung jedenfalls auch oder nur das gemeinschaftliche Eigentum, ist nach §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 WEG die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aufgerufen, dagegen gegebenenfalls vorzugehen. Für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer muss die Verwaltung die notwendigen Schritte in die Wege leiten. Überblick:
Ein Weg besteht darin, die Wohnungseigentümer zu informieren und ihre Willensbildung herbeizuführen. Im Vorfeld muss die Verwaltung den Störer bereits abmahnen. Ob die Wohnungseigentümer sich dann dazu entscheiden, einzuschreiten, obliegt ihrem Ermessen. Es kann eine Ermessensreduktion auf "Null" geben. Eine Pflicht, gegen eine Störung vorzugehen, ist beispielsweise bei gravierenden brandschutzrechtlichen Verstößen regelmäßig zu bejahen.
Ein anderer Weg besteht darin, dass die Verwaltung eigenständig handelt und den Störer nicht nur abmahnt, sondern gegen ihn außergerichtlich und notfalls gerichtlich auf Unterlassung vorgeht. Dies ist möglich, wenn die Wohnungseigentümer dies so vereinbart haben oder § 27 Abs. 1 WEG dieses Tun erlaubt. So kann es bei Gefahr im Verzug liegen.
Beschlüsse und Verstöße gegen öffentliches Recht
Gem. § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG ist ein Beschluss nichtig, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Insoweit war und ist fraglich, was bei Verstößen gegen das öffentliche Recht, beispielsweise die Heizkostenverordnung oder, wie im Fall, die Landesbauordnungen, gilt. Verstößt ein Beschluss gegen öffentliches Recht, ist er jedenfalls nicht ordnungsmäßig. Im Fall nimmt der BGH mit guten Gründen Nichtigkeit an.