Leitsatz
Der Grundsatz der Massesicherung berührt nicht die Strafbarkeit der Beitragsvorenthaltung, wenn ein Verantwortlicher, der bei Insolvenzreife die fehlende Sanierungsmöglichkeit erkennt, das Unternehmen weiter führt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen.
Sachverhalt
Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB verurteilt. Der BGH stellte das Verfahren insoweit nach § 154 Abs. 2 StPO ein, machte aber grundsätzliche Ausführungen zur strafrechtlichen Beurteilung derartiger Vorwürfe in der Unternehmenskrise.
Entscheidung
Der II. Zivilsenat hat jüngst entschieden, dass Sozialversicherungsbeiträgen kein Vorrang zukommt und der Grundsatz der Massesicherung nach § 64 Abs. 2 GmbHG es dem Geschäftsführer nicht gestattet, bei Insolvenzreife noch Zahlungen aus der Masse zu leisten. Der 5. Strafsenat teilt diese Auffassung nicht.
Wird die GmbH insolvenzreif, obliegt es der Geschäftsführung, gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG spätestens innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. Nur innerhalb dieses Zeitraums ist die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge suspendiert. Lässt der Geschäftsführer diese Frist trotz fortbestehender Insolvenzreife verstreichen, ist im Hinblick auf § 266a Abs. 1 StGB der Rechtfertigungsgrund entfallen, der sich aus der innerhalb der Insolvenzantragsfrist vorzunehmenden Prüfung der Sanierungsfähigkeit ergibt. Nach diesem Zeitpunkt hat er dann aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorrangig die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung zu erbringen. Der Verantwortliche, der bei gegebener Insolvenzreife erkennt, dass für das Unternehmen keine Sanierungsmöglichkeit mehr besteht, und trotzdem keinen Insolvenzantrag stellt, kann sich jedenfalls in strafrechtlicher Hinsicht nicht auf den Grundsatz der Massesicherung berufen, wenn er das Unternehmen dennoch weiter führt. Ihm ist es nämlich ohne weiteres möglich, sich aus dieser (nur scheinbaren) Konfliktlage dadurch zu befreien, dass er seiner Insolvenzantragspflicht nachkommt und den gebotenen Insolvenzantrag stellt.
Es besteht keine unabwendbare Kollision zwischen zwei gleichwertigen zivilrechtlichen Ansprüchen. Vielmehr ist zweifelhaft, ob eine etwaige zivilrechtliche Ersatzpflicht nicht schon von der strafbewehrten Abführungspflicht überlagert wird, so dass auf Seiten des Geschäftsführers das für die Ersatzpflicht notwendige Verschulden entfällt. Selbst die Annahme einer Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG stünde einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB nicht entgegen. Eine unabwendbare Pflichtenkollision ist hier nämlich schon deshalb nicht gegeben, weil sich der Geschäftsführer diesen widerstreitenden Pflichten jederzeit entziehen könnte, indem er einen Insolvenzantrag stellt. Hat der Täter die Pflichtenkollision vorwerfbar selbst herbeigeführt, kann er hieraus keinen Rechtfertigungsgrund ableiten.
Praxishinweis
Der Senat hält mit seiner Entscheidung für die Fälle, in denen der Geschäftsführer das Unternehmen unter Missachtung der Insolvenzantragspflicht fortführt, daran fest, dass für die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer insoweit auch vorrangig die Beiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB abzuführen sind. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt also zwingend zu einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB. Es bleibt abzuwarten, wie der II. Zivilsenat sich zu dieser seiner Rechtsprechung widersprechenden Auffassung stellen wird. Die Haltung in der Literatur ist jedenfalls gespalten.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss vom 09.08.2005, 5 StR 67/05, 5 StR 16/02