Das Wichtigste in Kürze:

1. Der Tatbegriff im Bußgeldverfahren entspricht demjenigen des Strafverfahrens und des GG.
2. Einen gegenüber dem Strafprozessrecht eigenständigen Tatbegriff für das OWi-Recht gibt es nicht. Gem. § 264 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 ist Gegenstand der Urteilsfindung die im Bußgeldbescheid (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3) bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.
3. Vom Begriff der prozessualen Tat ist der materielle Tatbegriff und damit das ebenfalls allein materiell-rechtlich zu beurteilende Konkurrenzverhältnis mehrerer Tatbestände i.S.d. §§ 52, 53 StGB bzw. der §§ 19, 20 zu unterscheiden.
4. Zu den wichtigsten unmittelbar an den prozessualen Tatbegriff anknüpfenden Folgen zählt u.a. das verfassungsrechtlich verankerte Verbot der Doppelbestrafung.
 

Rdn 3482

 

Literaturhinweise:

Albrecht, Die Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit bei Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten (Eine Empfehlung für Bußgeldbehörden und Gerichte), 2004

ders., Die Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit bei mehreren gleichzeitig begangenen Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, NZV 2005, 62

ders., Gleichzeitiger Gurt- und Geschwindigkeitsverstoß, SVR 2006, 1

ders., Tateinheit und Tatmehrheit bei mehreren nacheinander begangenen gleichartigen Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, SVR 2006, 121

ders., Die unbefriedigende Lösung zur Konkurrenz bei Verkehrsverstößen, DAR 2007, 61

Bechtel, Der prozessuale Tatbegriff und seine Bedeutung für die Bestimmung wichtiger Verfahrenshindernisse, JA 2022, 199

Deutscher, Gurtverstöße als Ordnungswidrigkeit, VRR 2008, 89

Erb, Die Reichweite des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten und bei fortgesetzten Taten, GA 1994, 265

Franke, Strafklageverbrauch und Konkurrenzen im Verkehrsrecht, in: Homburger Tage 2013, 41–59

Fromm, Konkurrenzregeln und Bußgeldbemessung bei mehreren Verkehrsordnungswidrigkeiten auf derselben Fahrt, DAR 2011, 112

Göhler, Zur Rechtskraftwirkung von Bußgeldentscheidungen, wistra 1991, 91

Gubitz, Zum Verhältnis von Fortsetzungszusammenhang und prozessualem Tatbegriff im Rahmen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, JR 1998, 491

Heimler, Ordnungswidrigkeit und Prozessgegenstand, 1985

Hruschka, Der Begriff der Tat im Strafverfahrensrecht, JZ 1966, 700

Janiszweski, Die Fahrt unter Alkoholeinfluss als Ordnungswidrigkeit und als Vergehen, BA 1974, 155

Kraatz, Strafklageverbrauch beim Unterlassungsdauerdelikt, Jura 2007, 854

Krenberger, Das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft im Bußgeld- und Strafrecht, DAR 2017, 192

Kröpil, Die Bedeutung der Tatbegriffe für den Strafklageverbrauch, DRiZ 1986, 448

ders., Verfahrensrechtliche Konsequenzen aus dem prozessualen Tatbegriff, DAR 1987, 75

ders., Zu den Tatbegriffen und ihre Bedeutung im Verkehrsstrafrecht und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, DAR 2014, 423

Krumm, Prozessuale Probleme in Bußgeldsachen mit dem Schaublatt zur Geschwindigkeitsfeststellung, VRR 2006, 328

Mielchen/Richter, Verteidigung bei Verstößen gegen die Sozialvorschriften im Straßenverkehr, zfs 2010, 604

Müller, Tateinheit bei Gurtverstoß mit Geschwindigkeitsverstoß, SVR 2005, 409

Peters, Was bleibt von der "Idealkonkurrenz durch Klammerwirkung?", JR 1993, 265

Steinberg/Stam, Der strafprozessuale Tatbegriff, Jura 2010, 907

s. auch die Hinw. bei → Konkurrenzen, Rdn 2654.

 

Rdn 3483

1. Der Tatbegriff im OWi-Recht entspricht demjenigen des Strafprozessrechts und des Grundgesetzes, wie er vor allem im Verbot der Doppelbestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem) seinen Ausdruck findet (BGHSt 58, 158 = NJW 2013, 1972; BGH NJW 2013, 3668 = StraFo 2013, 519 = zfs 2014, 50 = NZV 2014, 49; BayObLGSt 1974, 58; 2001, 134; OLG Celle NZV 2012, 196; DAR 2011, 407; OLG Hamm zfs 2009, 651; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.1.2024 – 2 ORbs 23 Ss 769/23; KK/Senge, § 79 Rn 39 f.; Fromm DAR 2011, 112). Das Grundgesetz hat allerdings auf eine Definition des Begriffs verzichtet. Die Garantiefunktion des Art. 103 Abs. 3 GG knüpft deshalb an einen prozessualen Tatbegriff an. Als Bestandteil des justiziellen Grundrechts aus Art. 103 Abs. 3 GG unterliegt die Frage, ob die Fachgerichte von einem zutreffenden prozessualen Tatverständnis ausgegangen sind, der uneingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Demgegenüber kann die Nachprüfung der einfach-rechtlichen Rechtsanwendung i.Ü., also insbesondere die Beurteilung des materiell-rechtlichen Konkurrenzverhältnisses, regelmäßig nur nach dem erheblich gröberen Willkürmaßstab (Art. 3 Abs. 1 GG) erfolgen und wird damit nur ausnahmsweise einen Verstoß auch gegen spezifisches Verfassungsrecht begründen (BVerfGE 45, 434, 436; 56, 22, 28 = NJW 1981; BVerfGK 7, 417 = VRR 2006, 272 [Lorenz]); BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 8; BGH NStZ 2009, 705 = StraFo 2009, 288 = VRR 2009, 391 [Gübner]).

 

Rdn 3484

2. Einen gegenüber dem Strafprozessrecht eigenständigen Tatbegriff für das OWi-Recht gibt es nicht. Gem. § 264 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage (§ 200 Abs. 1 S....

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