Wenn Unternehmen bzw. Gesellschaften vor dem Brexit ihren Sitz bzw. ihren Tätigkeitsort vom VK nach Deutschland oder umgekehrt verlegen wollten, kamen auf Basis der europäischen Gründungstheorie bzw. aufgrund von sonstigem Sekundärrecht als besondere Maßnahmen v. a. die Verlegung des Verwaltungssitzes, eine grenzüberschreitende Verschmelzung oder die Gründung einer Societas Europaea (SE) in Betracht. Zudem konnte auf Basis der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung über einen grenzüberschreitenden Formwechsel (gleichzusetzen mit einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung) nachgedacht werden. Diese Möglichkeiten kommen künftig nur wieder in Betracht, sollte das VK, was allerdings eher unwahrscheinlich ist, nach dem Brexit dem EWR beitreten. Zudem blieben sie anwendbar für den Übergangszeitraum des Austrittsabkommens aus dem Jahr 2019. Im Folgenden sollen diese kurz vorgestellt werden, um später (Abschnitt 4) die Unterschiede für die Zeit nach dem Brexit deutlich zu machen. Die Strukturierungen, die keinen besonderen europarechtlichen Bezug voraussetzen und daneben zulässig waren und sind, werden auch unter Abschnitt 4 dargestellt. Auf die europäischen Rechtsformen EWIV (Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, englisch: European economic interest grouping, EEIG) und SCE (Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft) wird nicht eingegangen, weil sie in der Praxis eher selten sind.
3.1 Verlegung des Verwaltungssitzes
Wie unter Abschnitt 1.2.2 und 1.2.3 bereits dargestellt, war die Verlegung bzw. Begründung des Verwaltungssitzes in das bzw. dem jeweils anderen Land aufgrund der gegenseitigen Anerkennung (Gründungstheorie im VK bzw. europäische Gründungstheorie in Deutschland) ein probates Mittel, Grenzen zu überwinden. So konnte z. B. eine Limited nach dem Recht von England und Wales gegründet und im dortigen Handelsregister (Companies House) eingetragen werden, die aber tatsächlich nur in Deutschland tätig war und hier ihren Verwaltungssitz hatte. Diese Möglichkeit wurde v. a. vor der Änderung des GmbH-Gesetzes durch das MoMiG vielfach genutzt, oft von Kleingewerbetreibenden, weil so das Erfordernis in Deutschland, ein Stammkapital von mindestens 25.000?EUR zumindest zum Teil aufzubringen, umgangen werden konnte. In England und Wales konnte und kann eine Limited mit einem Kapital von nur einem Pfund gegründet werden und dieses muss nicht einmal eingezahlt werden.
Aus deutscher Sicht mussten solche Gesellschaften im Handelsregister eine Zweigniederlassung eintragen lassen. Sie konnten nicht als solches, beispielsweise als englische Limited, im deutschen Handelsregister eingetragen werden, weil das deutsche Recht eine solche Eintragung nicht vorsieht. Die Niederlassung in Deutschland ist aus rechtlicher Sicht "Zweigniederlassung" i. S. v. § 13 ff. HGB auch dann, wenn die Niederlassung gleichzeitig die Hauptniederlassung ist, weil etwa im Ausland außer einer zustellfähigen Adresse nichts vorhanden ist. Dies war Ausfluss dessen, dass die ausländische Gesellschaft aufgrund der europäischen Gründungstheorie als solche im Inland anzuerkennen war (Preuß in OetkerKoHGB, § 13e Rn. 9). Aus dem Handelsregistereintrag in Deutschland ergibt sich nicht, ob die ausländische Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im In- oder Ausland hat. Dies ist in Deutschland nicht eintragungsfähig.
3.2 Grenzüberschreitende Verschmelzung
Kapitalgesellschaften aus EU- und EWR-Mitgliedstaaten können auf Grundlage der europäischen Verschmelzungsrichtlinie (RL 2005/56/EG, zwischenzeitlich ersetzt durch die Gesellschaftsrichtlinie (RL (EU) 2017/1132) und der nationalen Umsetzungsgesetze grenzüberschreitend verschmolzen werden. In Deutschland erfolgte die Umsetzung mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes durch Einführung der §§ 122a ff. im Umwandlungsgesetz (UmwG), in England durch die sog. Companies (Cross-Border Mergers) Regulations 2007 (CCBMR). Bis zum Ablauf des in dem Austrittsabkommen aus dem Jahr 2019 vereinbarten Übergangszeitraums (31.12.2020) konnten britische Kapitalgesellschaften auf Basis dieser Regelungen auf deutsche Gesellschaften verschmolzen werden und umgekehrt.
Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem 4. UmwÄndG mit Wirkung zum 01.01.2019 sogar die Möglichkeit eröffnet, dass aufnehmende Rechtsträger einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach Deutschland hinein auch Personenhandelsgesellschaften, d. h. OHGs und KGs, sein dürfen, allerdings beschränkt auf solche Gesellschaften, die i. d. R. nicht mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Davor standen grenzüberschreitende Verschmelzungen nur Kapitalgesellschaften offen (BeckOGK/Klett, UmwG, § 122b Rn. 18).
Im VK war die grenzüberschreitende Verschmelzung ein sehr formelles Verfahren. Das lag auch daran, dass das britische Recht isoliert die Verschmelzung nicht kennt und bis heute für rein britische Vorgänge nicht zulässt. Eine britische Limited kann also nicht auf eine andere britische Gesellschaft verschmolzen werden. Für die Umsetzung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mussten diverse Anträg...