Mit Ausnahme der Regelungen zur SE sehen weder das britische noch das deutsche Gesellschaftsrecht die Möglichkeit vor, dass eine in einem der beiden Länder gegründete Gesellschaft ihren Satzungssitz identitätswahrend in das andere Land verlegt, um dort die Rechtsform des Aufnahmelandes anzunehmen. Solche Vorgänge werden als grenzüberschreitender Formwechsel, grenzüberschreitende Umwandlung oder auch als grenzüberschreitende Sitzverlegung bezeichnet.
Es gibt durchaus Länder, die solche Vorgänge ausdrücklich zulassen, z. B. die Schweiz und Liechtenstein. So ermöglicht Art. 163 des Schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Zivilprozessrecht einer schweizerischen Gesellschaft, ihren Satzungssitz identitätswahrend aus der Schweiz heraus zu verlegen, d. h. ihr Personalstatut zu ändern, indem sie sich ausländischem Recht unterstellt. Liechtenstein hat den grenzüberschreitenden, identitätswahrenden Formwechsel ausdrücklich in Art. 233 f. des liechtensteinisches Personen- und Gesellschaftsrechts geregelt.
Praxishinweis
Die vorgenannten Regelungen werden in der Praxis dafür eingesetzt, um Gesellschaften aus der Schweiz, die aus deutscher Sicht als Drittstaat zu qualifizieren ist, über Liechtenstein (als EWR-Staat) identitätswahrend nach Deutschland zu holen und umgekehrt. Auch wenn es nach dem Brexit keine EU-weite Regelung zu grenzüberschreitenden Sitzverlegungen bzw. Verschmelzungen mit dem VK geben wird, könnte eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung mit nur einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ein "Einfallstor" für solche mehrstufigen Strukturierungen werden.
Aus deutscher Sicht muss der Satzungssitz einer in Deutschland gegründeten Kapitalgesellschaft zwingend im Inland liegen. Würde eine in Deutschland gegründete und im Handelsregister eingetragene Kapitalgesellschaft beschließen, ihren Satzungssitz ins Ausland zu verlegen, würde dies aufgrund der Sitztheorie grundsätzlich zur Beseitigung der Rechtsfähigkeit führen. Dies wäre als Auflösungsbeschluss zu werten und führte somit zur Liquidation (Römermann in MAH GmbH-Recht, § 26 Rn. 277 ff.).
Dementsprechend sind diverse Urteile deutscher Gerichte ergangen, die die Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels ablehnten. So entschied das OLG Nürnberg noch im Jahr 2012, dass die Satzungs- und Verwaltungssitzverlegung einer luxemburgischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Société à responsabilité limitée, kurz: S.à r. l.) nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft deutschen Rechts (GmbH) nach deutschem Sachrecht nicht zulässig sei, da das deutsche Gesellschaftsrecht eine derartige Sitzverlegung in der erstrebten Form nicht kannte (OLG Nürnberg vom 13.02.2012, 12 W 2361/11, BB 2012, 988).
Kurz darauf entschied allerdings der EuGH in der Rechtssache Vale, dass es nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn ein Mitgliedstaat für inländische Gesellschaften die Umwandlung in eine andere Rechtsform gestattet, aber ausländische Gesellschaften davon generell ausschließt (EuGH vom 12.07.2012, C-378/10, NJW 2012, 2715). Der EuGH stellte unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung in der Rechtssache Sevic nochmals heraus, dass die Umwandlung von Gesellschaften grundsätzlich zu deren wirtschaftlichen Tätigkeit gehört, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit beachten müssen. Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, welcher die Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Gesellschaften verbietet, müsse bei der Anwendung inländischen Rechts gewahrt bleiben.
In der Rechtssache Sevic war es um die Frage gegangen, ob das Registergericht in Deutschland, vor Erlass der Verschmelzungsrichtlinie und der diesbezüglichen Änderung des UmwG, die Eintragung einer Verschmelzung in das Handelsregister in Deutschland deshalb ablehnen konnte, weil einer der beteiligten Rechtsträger seinen Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat hatte (EuGH vom 13.12.2005, C-411/03, EuZW 2006, 81). Der im Jahr 2002 zwischen der deutschen SEVIC Systems AG und der luxemburgischen Security Vision Concept SA geschlossene Verschmelzungsvertrag sah die Auflösung der Security Vision Concept SA (ohne Abwicklung) und die Übertragung ihres gesamten Vermögens auf die SEVIC Systems AG vor. Das Amtsgericht Neuwied hatte den Antrag auf Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister mit der Begründung zurückgewiesen, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG nur die Verschmelzung von Rechtsträgern mit Sitz im Inland vorsah und das Umwandlungsgesetz nicht für grenzüberschreitende Verschmelzungen anwendbar sei. Der EuGH war der Auffassung, dass die damalige Norm im deutschen UmwG, die nur eine Verschmelzung von Rechtsträgern mit Sitz in Deutschland vorsah und damit zu einer unterschiedlichen Behandlung von innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verschmelzungen führte, gegen die Niederlassungsfreiheit verstieß. Grenzüberschreitende Verschmelzungen stellten wichtige Modalitäten der Ausübung der Niederlassungsfreiheit ...