§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG – und § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG – ordnen eine rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns an, wenn im Anschluss an eine Sacheinlage (§ 20 UmwStG) oder einen Anteilstausch (§ 21 UmwStG), für den im Veräußerungsfall § 8b Abs. 2 KStG nicht greifen würde, jeweils unter dem gemeinen Wert für den Einbringenden – oder die übernehmende Gesellschaft – die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG (Ansässigkeit innerhalb des EU- oder EWR-Raums) nicht mehr erfüllt sind. Der Verweis auf § 1 Abs. 4 UmwStG ist dabei nach den Gesetzesmaterialien so zu verstehen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG (Sitz und Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines EU- oder EWR-Staates) zu jedem Zeitpunkt des in § 22 Abs. 1 und 2 UmwStG festgelegten Siebenjahreszeitraums erfüllt sein müssen und es anderenfalls zu einer rückwirkenden Besteuerung eines Einbringungsgewinns I oder II gem. § 22 Abs. 1 oder 2 UmwStG kommt (vgl. auch die Erläuterungen zum Regierungsentwurf zu § 22 Abs. 8 UmwStG i. d. F. des Brexit-StBG, BT-Drs. 19/7377, 22).

Der Brexit hätte somit für bereits in der Vergangenheit erfolgte Umwandlungen, für die die Siebenjahresfrist nach §§ 20,21 UmwStG noch nicht abgelaufen ist, möglicherweise dazu führen können, dass die Besteuerung des Einbringungsgewinns I oder II ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen ausgelöst wird.

Um dies zu vermeiden, wurde mit dem Brexit-StBG in § 22 Abs. 8 Satz 1 UmwStG eine gesetzliche Regelung geschaffen, nach der in Bezug auf einen Einbringenden oder eine übernehmende Gesellschaft i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG und § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG, die bereits vor dem Brexit im VK ansässig waren – und ansonsten auch kein weiteres die Einbringungsgewinnbesteuerung nach § 22 UmwStG auslösendes Ereignis hinzutritt –, allein der Austritt des VK aus der EU und dem EWR bzw. der Ablauf des Übergangszeitraums kein schädliches Ereignis in dem Sinne darstellt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG nicht mehr gegeben sind. Damit wird sichergestellt, dass allein der Brexit (bzw. der Ablauf des Übergangszeitraums) – ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen – nicht zu einer rückwirkenden Besteuerung eines Einbringungsgewinns führt. Dies gilt gem. § 22 Abs. 8 Satz 2 UmwStG allerdings nur für Fälle, in denen der zugrunde liegende Umwandlungsbeschluss oder Einbringungsvertrag zeitlich bereits vor dem Brexit bzw. vor Ablauf des Übergangszeitraums erfolgte.

Stellt man entgegen der grundsätzlichen Auffassung der Finanzverwaltung, dass die persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG am steuerlichen Übertragungsstichtag vorliegen müssen, darauf ab, dass für das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG der Zeitpunkt des zivilrechtlichen Wirksamwerdens des Umwandlungs- bzw. Einbringungsvorgangs maßgeblich sei (s. dazu Fundstellen zum Meinungsstand unter 3.1.1.1.1), können sich aus der neuen Regelung in § 22 Abs. 8 Satz 2 UmwStG praktische Anwendungsfragen ergeben, etwa wenn durch rechtzeitigen Umwandlungsbeschluss oder Abschluss des Einbringungsvertrages der zeitliche Anwendungsbereich der Norm gem. § 22 Abs. 8 Satz 2 UmwStG erfüllt ist, gleichzeitig aber das rechtzeitige Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG vor dem Brexit bzw. vor Ablauf des Übergangszeitraums mangels zivilrechtlicher Wirksamkeit des Umwandlungsvorgangs verneint würde. Diese können u. E. durch Abstellen auf den maßgeblichen Stichtag in dieser besonderen, durch den Brexit veranlassten Sonderregelung i. S. e. Spezialregelung für die in dieser Norm besonders geregelten Brexit-Fälle aufgelöst werden. Die persönlichen Voraussetzungen der Ansässigkeit in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat müssten dann u. E. im Zeitpunkt des maßgeblichen Umwandlungsbeschlusses bzw. bei Abschluss des Einbringungsvertrages vorliegen (so de lege ferenda auch Zöller/Steffens, IStR 2019, 286, 291).

Da durch die gesetzliche Neuregelung lediglich die Steuerschädlichkeit des Brexits allein negiert wird, ist nicht völlig auszuschließen, dass sogar die Verlegung des Sitzes oder der Geschäftsleitung eines beteiligten Rechtsträgers innerhalb des VK die Besteuerung des Einbringungsvorgangs auslösen könnte (so Höreth/Stelzer, DStZ 2019, 367, 369; zweifelnd Richter/Schlücke, IStR 2019, 51, 53). Im Hinblick auf den Wortlaut der Norm sowie unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung, nach der das VK insoweit nach wie vor wie ein Mitgliedstaat der EU behandelt wird (BT-Drs. 19/7377, S. 22), erscheint uns diese Schlussfolgerung allerdings zu weitgehend.

Fraglich ist auch, ob die Schutzwirkung des § 22 Abs. 8 UmwStG für Fälle der unentgeltlichen Rechtsnachfolge gem. § 22 Abs. 6 UmwStG greift (Richter/Schlücke, IStR 2019, 51, 53). In jedem Fall dürften Folgeeinbringungen bzw. -umwandlungen i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, 4 und 5 UmwStG regelmäßig Sperrfristverletzungen auslösen, wenn der jeweilige Vorgang auf eine aufnehmende Gesellschaft mit Ansässigkeit in Großbritannien...

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