Manuel Klingenberg, Nadja Simone Roß-Kirsch
Die "Alt-Briten" erhalten ihre aufenthaltsrechtliche Stellung aus dem Austrittsabkommen selbst, nicht aus dem deutschen Freizügigkeitsgesetz/EU. Gemeint ist damit v. a. das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Das Austrittsabkommen trifft an zwei Stellen aufenthaltsrechtliche Regelungen, nämlich in Teil II Titel I (Art. 9–12) und Teil II Titel II (Art. 13–29), indem es auf weitere europäische Regelungen verweist. Das Freizügigkeitsgesetz/EU regelt dann die weiteren Folgen für Alt-Briten im nationalen Aufenthaltsrecht. Die Komplexität für Alt-Briten ergibt sich daraus, dass es diverse Fallgestaltungen eines Freizügigkeitsrechts gibt, die immer einzelfallbezogen untersucht werden müssen.
1.1.1 Ausübung eines Freizügigkeitsrechts
Etwas verkürzt gesprochen fallen britische Staatsbürger nur dann unter das Austrittsabkommen, wenn sie von ihrem Freizügigkeitsrecht vor Ablauf des Übergangszeitraums (also vor dem 31.12.2020) Gebrauch gemacht haben. Unter dem Freizügigkeitsrecht versteht man, dass der britische Staatsbürger in Deutschland wohnt und hier selbstständig oder unselbstständig tätig ist. Ein Freizügigkeitsrecht ergibt sich aber auch dann, wenn der britische Staatsbürger arbeitssuchend ist oder beispielsweise als Rentner oder Studierender in Deutschland lebt.
Der Begriff "Wohnen" ist im Austrittsabkommen selbst nicht direkt geregelt und es muss auf andere Begriffsdefinitionen zurückgegriffen werden. Zunächst wäre daran zu denken, die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt als Nachweis des Wohnens ausreichen zu lassen. Jedoch ist die reine Anmeldung einer Wohnung nicht gleichbedeutend mit dem Begriff "Wohnen" i. S. d. in Rede stehenden Austrittsabkommens. Auch vor dem Hintergrund, dass das Austrittsabkommen noch den Grenzgänger kennt, der zwar nicht in Deutschland wohnt, aber hier arbeitet, kann die Anmeldung einer Wohnung nur ein Indiz sein.
So legen die Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat fest, dass mehr als der reine Aufenthalt im Bundesgebiet notwendig ist. Entscheidend ist daher, dass der Lebensmittelpunkt i. S. e. ständigen Aufenthalts in Deutschland liegt. Nach den Anwendungshinweisen ist darunter ein Aufenthalt zu verstehen, der zumindest auch zu anderen Lebenszwecken als der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und nicht nur völlig vorübergehend erfolgt. Entscheidend ist daher eine gewisse Ausrichtung des persönlichen und sozialen Lebens auf den Ort des "Wohnens", wobei diese Ausrichtung nicht exklusiv sein muss. Der Begriff des "Wohnens" lehnt sich damit an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts aus § 9 AO an.
Unter dieses Verständnis kann auch ein gesplitteter Aufenthalt fallen, z. B. wenn die Person eine Wohnung in Deutschland besitzt und sich nur das halbe Jahr über dort aufhält, während sie die andere Hälfte an einem anderen Ort lebt, aber dort keine Wohnung besitzt. Durch dieses Begriffsverständnis wird klar, dass ein touristischer oder Besuchsaufenthalt oder ein nur zeitweiliger (mehrwöchiger) Aufenthalt zu beruflichen Zwecken nicht zu einem "Wohnen" in Deutschland führt.
Somit fallen nach Deutschland lediglich entsandte Arbeitnehmer im Rahmen einer Dienstleistungserbringung regelmäßig nicht unter das Austrittsabkommen. Nur für den Fall, dass zusätzlich der Lebensunterhalt einschließlich eines Krankenversicherungsschutzes gesichert ist und dies über den 01.01.2021 hinaus bestehen bleibt, fallen auch entsandte Arbeitnehmer unter das Austrittsabkommen. Denn dann können sie sich ebenfalls auf ein Freizügigkeitsrecht nach der Freizügigkeitsrichtlinie berufen. Das Gleiche gilt für entsandte Arbeitnehmer, die in Deutschland einen Nebenjob bei einem deutschen Unternehmen oder einem Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat ausüben, oder wenn der entsandte Arbeitnehmer mit einem EU-/EWR-Bürger verheiratet ist. Dann bleiben ebenfalls Rechte aus dem Austrittsabkommen bestehen, da sich die Rechte aus einem Freizügigkeitsrecht ableiten lassen.
Soweit keine der vorstehenden Anwendungsfälle des Austrittsabkommens greifen, sind entsandte britische Staatsangehörige grundsätzlich als Drittstaatsangehörige zu behandeln und das normale Aufenthaltsrecht findet Anwendung. Damit jedoch diese Personen sich nicht unmittelbar der Gefahr einer illegalen Beschäftigung in Deutschland ausgesetzt sehen, wurde im Rahmen der Anpassung des Aufenthaltsrechts eine Übergangsvorschrift in der Aufenthaltsverordnung geschaffen. Danach können Personen, die nicht unter das Austrittsabkommen fallen, aber zuvor eine Dienstleistung in Deutschland erbracht haben, bis zum 31. März 2021 in Deutschland bleiben und auch weiterhin die bisherige Tätigkeit ausüben, ohne einen entsprechenden Aufenthaltstitel in Deutschland beantragen zu müssen. Soweit die Tätigkeit über den 31. März 2021 hinausgeht, muss dann aber in Deutschland ein Aufenthaltstitel nach nationalem Aufenthaltsrecht beantragt werden.