Bis zum Brexit basierte das britische Mehrwertsteuerrecht grundsätzlich auf den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der EU. Abgesehen von einer größeren Anzahl von Sonderregelungen, die das VK im Zusammenhang mit dem Beitritt in den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts ausdrücklich beibehalten durfte (so beispielsweise den Nullsteuersatz auf zahlreiche Lebensmittel, Bücher und Zeitungen) steht das britische Mehrwertsteuergesetz daher prinzipiell im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben. Dies bedeutet insbesondere, dass wesentliche Transaktionstypen wie die steuerfreie Ausfuhrlieferung, die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung, der innergemeinschaftliche Erwerb, die steuerpflichtige Einfuhr oder auch der Vorsteuerabzug im Wesentlichen ähnlich strukturiert sind wie im deutschen Umsatzsteuergesetz.

Mit Vollzug des Austritts des VK aus der EU und Auslaufen des Übergangszeitraums (vgl. Abschnitt 4.3) entfällt grundsätzlich die Verpflichtung, nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU die Vorschriften des Unionsrechts zu beachten und insbesondere damit die Verpflichtung, das nationale Mehrwertsteuerrecht unter Einhaltung des unionsrechtlichen Rahmens nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und den weiteren relevanten Rechtsakten des Unionsrechts auszugestalten (vgl. dazu Dorn/Schwarz, NWB 2016, 2182). Es endet auch die Bindung an die Rechtsprechung des EuGH in Mehrwertsteuerfragen.

Es ist beim jetzigen Stand vollkommen unklar, in welche Richtung sich das britische Mehrwertsteuerrecht zukünftig entwickeln wird. Insbesondere erscheint es möglich, dass das VK früher oder später Vorschriften einführen wird, die ganz erheblich vom unionsrechtlichen Rahmen abweichen. Erste Äußerungen von Vertretern führender politischer Parteien deuteten auf entsprechende Absichten hin.

Sämtliche im folgenden Abschnitt gemachten Ausführungen beziehen sich nur auf das britische Mehrwertsteuerrecht in seiner zum Brexit bestehenden Fassung. Betroffene Rechtsanwender müssen auf jeden Fall sich über eventuell zwischenzeitlich eingetretene Änderungen informieren und sollten stets einen mit dem britischen Recht vertrauten Berater befragen.

Das VK hat in den Jahren 2018 bis 2020 mehrere Gesetze im Zusammenhang mit dem Brexit erlassen. Diese sehen in erster Linie die Abschaffung der besonderen mehrwertsteuerlichen Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Handel (v. a. innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftliche Erwerb) und der sonst relevanten Regeln des Unionsrechts (Definition des Unionsgebiets mit besonderen Steuerfolgen, MOSS-Verfahren, usw.) zum Austrittstermin vor. Vorbemerkung zum deutschen Recht und Unionsrecht.

Da das Mehrwertsteuerrecht in der EU grundsätzlich harmonisiert ist, muss Deutschland bei der Ausgestaltung seiner nationalen Gesetzgebung und seiner Verwaltungspraxis die unionsrechtlichen Vorgaben insbesondere der Mehrwertsteuersystemrichtlinie einhalten. Dies bedeutet, dass im Hinblick auf den Brexit Deutschland anders als zum Teil beispielsweise auf dem Gebiet des Zivilrechts oder des Ertragsteuerrechts nicht die Möglichkeit hat, durch rein nationale Regelungen Übergangsvorschriften oder Sondervorschriften mit Wirkung auf die Umsatzsteuer im Kontext des Brexits zu erlassen. Vielmehr sind die unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten.

In Deutschland hat die Finanzverwaltung im Zusammenhang mit Austritt des VK aus der EU in einem ausführlichen BMF-Schreiben (vgl. BMF vom 10.12.2020) zu zahlreichen umsatzsteuerlichen Fragen Stellung genommen. Ein BMF-Schreiben kann dabei kein Recht schaffen, sondern lediglich zu dessen Anwendung durch die Finanzverwaltung Stellung nehmen. Die wesentlichen Elemente, soweit relevant, haben Eingang in die folgenden Abschnitte gefunden.

Die EU hat ebenfalls erläuternde Informationen in Form sog. Mitteilungen herausgegeben (vgl. insbesondere Mitteilung REV3 vom 09.12.2020 zu Dienstleistungen und Mitteilung REV3 vom 10.12.2020 zu Gegenständen).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge