Unter dem Begriff Versandhandel wird für Zwecke dieses Abschnitts ein Verkaufsvorgang verstanden, bei dem Ware grenzüberschreitend an einen Kunden geliefert wird, der kein umsatzsteuerlicher Unternehmer oder eine diesem gleichgestellte Person ist, und bei dem der Lieferant für die Versendung verantwortlich ist bzw. diese veranlasst. Die bedeutsamste Änderung durch den Austritt des VK aus der EU ist bezüglich des Versandhandels der Wegfall der Anwendung der Sonderregeln für den Versandhandel (§ 3c UStG). Diese gelten nämlich nur für innergemeinschaftliche Versendungen.
Wenn deutsche Unternehmen im Wege des Versandhandels Ware an britische Kunden verkaufen, waren sie bisher bei Überschreiten der Lieferschwelle oder Verzicht auf deren Anwendung in Großbritannien zu einer mehrwertsteuerlichen Registrierung und Abrechnung mit lokaler Mehrwertsteuer verpflichtet. Nach dem Austritt Großbritanniens sind die entsprechenden Geschäfte aus deutscher Sicht steuerfreie Ausfuhrlieferungen (vgl. § 6 UStG, und Abschnitt 4.4.1.1), weil solche unabhängig von persönlichen Merkmalen des Abnehmers bei Beförderung oder Versendung durch den Lieferanten in das Drittlandsgebiet vorliegen.
Beispiel
Der deutsche Händler Schuhschnell KG verkauft Schuhe über das Internet. Fast alle seiner Kunden kommen aus Deutschland. In ganz kleinem Umfang (jeweils weniger als 5.000 EUR Umsatz pro Jahr) werden Schuhe an Kunden in anderen EU-Staaten versendet. Bisher berechnet die Schuhschnell KG stets zutreffend 19 % deutsche Umsatzsteuer.
Nach dem Brexit sind Verkäufe mit Versand nach Großbritannien grundsätzlich umsatzsteuerfrei, selbst wenn sie nur in ganz kleinem Volumen erfolgen.
Die Behandlung des Versands von Waren in das VK aus britischer Sicht wurde zum 01.01.2021 geändert.
Ab dem 01.01.2021 sind alle Warensendungen bis zu einem Warenwert von 135 GBP, die direkt an Verbraucher in Großbritannien ausgeführt werden und die nicht über einen Online-Marktplatz in Großbritannien unterstützt werden, dort umsatzsteuerpflichtig und der Lieferer schuldet die Umsatzsteuer, d. h., er muss sich in Großbritannien umsatzsteuerlich erfassen lassen.
Ausnahmen gelten für verbrauchsteuerpflichtige Waren, für Geschenke und für Lieferungen an umsatzsteuerliche Unternehmer. Im letztgenannten Fall, der durch Verwendung der britischen Umsatzsteuernummer des Kunden nachzuweisen ist, gilt eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.
Weiterhin hat das VK zum 01.01.2021 die bisher geltende Freigrenze von 15 GBP abgeschafft, bis zu der bei kommerziellen Sendungen aus Drittstaaten (mit Ausnahme der Kanalinseln) keine Einfuhrabgaben erhoben wurden.
Besondere Vorschriften gelten ab dem 01.01.2021 bei Verkäufen über sog. Online-Marktplätze. Falls diese die Vertragsbedingungen für den Warenversand festlegen, am Versand oder am Bestellprozess beteiligt sind und an der Zahlungsabwicklung teilnehmen, so werden sie ähnlich dem in Deutschland und der EU ab dem 01.07.2021 geltenden Recht umsatzsteuerlich bei Verkäufen durch Nichtansässige und bei Fällen mit direkter Wareneinfuhr aus Drittstaaten zum Lieferer gegenüber dem Kunden, d. h., sie schulden die Umsatzsteuer auf diese Lieferung und empfangen eine fiktive Lieferung vom eigentlichen Verkäufer. Ausnahmen gelten, wenn der Kunde ein Unternehmer ist, der eine britische Umsatzsteuernummer verwendet.
Praxishinweis
Bei Warenlieferungen an Privatpersonen oder anderen Nichtunternehmer mit Versand in das VK sollte ein steuerlicher Berater eingeschaltet werden. Es drohen ab Brexit erhebliche steuerliche Risiken. Zusätzlich sollten sich betroffene Unternehmen mit den neu eingeführten Vorschriften für elektronische Marktplätze auseinandersetzen.