2.1 Vorbemerkung
Im Januar 2020 haben sich das VK und die EU auf ein Austrittsabkommen verständigt. Dieses sah eine befristete Weitergeltung der Zollunion (vgl. Art. 127 des Abkommens) zunächst bis zum 31.12.2020 (vgl. Art. 126 des Abkommens) vor. Die im Abkommen vorgesehene Möglichkeit einer Verlängerung der Übergangsfrist wurde nicht genutzt.
Das VK und die EU haben sich in den weiteren Verhandlungen nicht auf eine nach dem Austritt und Auslaufen des Übergangszeitraums weiter bestehende Zollunion verständigt. Mit Ablauf des 31.12.2020 hat sich damit der zollrechtliche Status des VK im Verhältnis zur EU zu dem eines Drittlandsgebiets geändert. Anders gesagt, das VK hat grundsätzlich das Zollgebiet der EU verlassen.
Allerdings haben das VK und die EU am 30.12.2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen unterzeichnet. Dieses war Anfang März 2021 bereits durch das VK ratifiziert worden, doch erst am 27.04.2021 stimmte das Europäische Parlament zu und das Abkommen trat am 01.05.2021 in Kraft. Das Abkommen wurde dennoch bereits ab dem 01.01.2021 angewendet und regelt zahlreiche zollrechtliche Erleichterungen. Damit konnten die für den Fall eines "harten" Brexits befürchteten erheblichen negativen zollrechtlichen Folgen weitgehend vermieden werden.
Da das Abkommen keine Zollunion vorsieht, sondern im Wesentlichen Zollbefreiungen und weitere Erleichterungen, müssen ab dem 01.01.2021 zollrechtliche Vorschriften beachtet werden, wenn sich Waren zwischen der EU und dem VK bewegen. Hierauf wird im Folgenden näher eingegangen.
Praxishinweis
Solange der Übergangszeitraum lief, also bis zum 31.12.2020, änderte sich zollrechtlich nichts. Das Zollrecht war in dieser Zeit für Warenbewegungen zwischen der EU und dem VK grundsätzlich nicht relevant, obwohl der Austritt rechtlich bereits vollzogen war. Stattdessen galten die mehrwertsteuerlichen Regeln für den innergemeinschaftlichen Handel (vgl. Teil H) weiter.
Für das Territorium von Nordirland sieht das Übergangsabkommen besondere Regelungen vor, die über den 31.12.2020 hinaus wirksam sind. Unter anderem ist eine Weitergeltung einzelner Normen für die zollrechtliche Behandlung von Warenbewegungen nach und von Nordirland über die Grenze zur Republik Irland Teil dieses Kompromissdokuments. Leider sind die Formulierungen des sog. Nordirland-Protokolls im Hinblick auf das Zollrecht alles andere als eindeutig. Daher bestehen erhebliche Unklarheiten, welche Rechtsfolgen sich ab dem 01.01.2021 im Hinblick auf Nordirland ergeben. Unternehmen, die Nordirland berührende Transaktionen ausführen, sollten sich daher über die aktuelle Rechtslage gesondert informieren. Nähere Hinweise hierzu finden sich im Teil J.
Das VK hat in den Jahren ab 2018 mehrere Gesetze im Zusammenhang mit dem Brexit erlassen. Diese sehen in erster Linie die Abschaffung der besonderen mehrwertsteuerlichen Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Handel (v. a. innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb) und der sonst relevanten Regeln des Unionsrechts (Definition des Unionsgebiets mit besonderen Steuerfolgen, MOSS-Verfahren, usw.) zum Austrittstermin vor. Weiterhin wurde ein britisches Zollrecht eingeführt.
2.2 Überblick zur Bedeutung zollrechtlicher Vorschriften für den Warenverkehr zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich
Im Abschnitt zu den umsatzsteuerlichen Auswirkungen des Brexits auf Transaktionen zwischen Deutschland und dem VK (vgl. Teil H) wird ausführlich beschrieben, dass Warenlieferungen zwischen den beiden Staaten ihren umsatzsteuerlichen Charakter durch den Austritt des VK deutlich verändern. Während nämlich bisher die mehrwertsteuerlichen Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr gelten (also regelmäßig zwischen Unternehmen in den beiden Staaten die Kombination aus innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichen Erwerb i. S. d. Mehrwertsteuersystems angewendet wird), werden nach dem Austritt entsprechende Lieferungen regelmäßig zu Ausfuhrlieferungen, und es kommt im Ankunftsstaat der Ware zu Einfuhrtatbeständen. Neben der abweichenden mehrwertsteuerlichen Behandlung bedeutet dies, dass in großem Umfang zollrechtliche Vorschriften für den Warenverkehr zwischen den beiden Staaten zu beachten sind.
Das am 30.12.2020 unterzeichnete Handelsabkommen enthält zwar zollrechtliche Erleichterungen, ändert aber nichts daran, dass grundsätzlich für Warenbewegungen zwischen dem VK und der EU zollrechtliche Vorschriften gelten.
2.2.1 Warenlieferung aus Deutschland nach Großbritannien als Ausfuhr
Wenn ein deutsches Unternehmen Ware an einen britischen Abnehmer verkauft und die Ware aus Deutschland nach Großbritannien befördert wird, kann umsatzsteuerlich eine steuerfreie Ausfuhrlieferung vorliegen. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich der Fall ist, ist zu prüfen, ob der zollrechtliche Ausfuhrtatbestand erfüllt wird (vgl. Abschnitt 2.6.6). Bei einer Ausfuhr im zollrechtlichen Sinn besteht zollrechtlich die Verpflichtung, eine Ausfuhrzollanmeldung abzugeben (vgl. Abschnitt 2.6.6).
Beispiel
Der deutsche Unternehmer Müller GmbH in Münster verkauft eine Ware an den deutschen Unternehmer Meyer GmbH in Hannover. Die Meyer GmbH verkauft die Ware weiter...