2.4.1 Allgemeines
Der Unionszollkodex gilt grundsätzlich im VK nur bis zum Austritt, d. h. dem 31.12.2020. Anschließend muss das VK ein eigenes Zollgesetz erlassen oder beschließen, dass die Vorschriften des Unionszollkodex übergangsweise weiter gelten sollen. Hierzu ist der britische Gesetzgeber bereits tätig geworden, und er hat ein britisches Zollgesetz verabschiedet. Durch den Austritt ist das VK berechtigt, sein Zollrecht grundsätzlich autonom auszugestalten. Das Abkommen von 2020 zwischen dem VK und der EU sieht allerdings vor, dass keine Zölle auf Waren aus dem Gebiet des jeweiligen Vertragspartners erhoben werden dürfen. Weiterhin dürfen keine Verbote oder Beschränkungen bezüglich der Einfuhr oder Ausfuhr eingeführt oder aufrechterhalten werden, die dem Artikel XI GATT 1994 und den diesbezüglichen Anmerkungen und ergänzenden Bestimmungen widersprechen.
Dementsprechend hat das VK beispielsweise mit Japan im Jahr 2020 vereinbart, dass mittelfristig wechselseitig eine vollständige Zollfreiheit gelten wird. Damit fallen auf Warenbewegungen zwischen dem VK und Japan ab Wirksamwerden keine Zölle mehr an, womit u. a. die Einfuhr von japanischen Autos in das VK anders als in der EU nicht mehr mit 10 % Zoll belastet sein wird.
2.4.2 Problem: Kapazitätsengpässe
Das VK benötigte bisher keine zollrechtlichen Abwicklungsprozesse für den Warenverkehr mit der EU, und konnte in großem Umfang bei der Einfuhr von Drittlandswaren deren Abwicklung in Zollstellen der EU mit nutzen. So wurde ein bedeutender Teil des Warenverkehrs über die großen Seehäfen Rotterdam und Antwerpen abgewickelt, von wo die Ware ohne weitere Zollformalitäten im Wege des innergemeinschaftlichen Transports in das VK gelangen konnte. Gleiches galt für Warenausfuhren durch britische Unternehmen.
Dies ändert sich durch den Austritt. Das VK muss nunmehr selbst für alle Warenbewegungen aus und in das VK Zollstellen einrichten und die Einfuhrabwicklung oder Ausfuhrabwicklung vornehmen. Je nach Ausgestaltung des britischen Zollrechts kann dies bedeuten, dass der entsprechende Warenverkehr deutlich verlangsamt wird. Dies gilt v. a für den Frachtverkehr durch den Kanaltunnel zwischen Dover und Calais und für den Seehandel mit der EU.
Das VK ist durch den Brexit gezwungen, sehr viel mehr Zollstellen einzurichten, diese mit sehr viel mehr Personal auszustatten und die sonstigen Ressourcen der Zollverwaltung deutlich zu steigern. Unternehmen müssen somit damit rechnen, dass Lieferungen länger dauern als bisher. Dies kann sowohl problematisch sein, wenn ein deutsches Unternehmen einem britischen Abnehmer bestimmte Liefertermine zusagt, als auch, wenn Komponenten aus der EU kritisch für Produktionsprozesse im VK sind und bisher "just in time" angeliefert wurden.
Viele Unternehmen haben auf dieses Risiko reagiert, indem sie Lieferketten oder Produktionsketten umgestellt haben. Im Extremfall findet dann die Fertigung nicht mehr im VK, sondern in der EU statt. Dies kann auch aus anderen Gründen (wie dargestellt, Problem der Zollerhebung, Abschnitt 3.2.2.2) geboten sein. Im Folgenden finden sich einige Zahlen zu britischen Einfuhren und Ausfuhren im Jahr 2017, die deutlich machen, welche Bedeutung der Verkehr mit der EU hat (Quelle: Weltbank, https://wits.worldbank.org/CountryProfile/en/Country/GBR/Year/2017/TradeFlow/Import/Partner/by-country, abgerufen 18.06.2021).
Insgesamt hatte das VK Importe (nicht im zollrechtlichen Sinn, sondern i. S. grenzüberschreitender Warenbezüge) von 641 Mrd. USD. Davon entfielen u. a. auf Deutschland 90 Mrd., auf die Niederlande 51 Mrd., auf Frankreich 36 Mrd., auf Belgien 32 Mrd. und auf Italien 25 Mrd. USD. Das Volumen der Exporte (gleiche Definition) betrug 442 Mrd. USD. Davon entfielen u. a. auf Deutschland 47 Mrd., auf Frankreich 30 Mrd., auf die Niederlande 27 Mrd., auf Irland 25 Mrd., auf Belgien 17 Mrd. und auf Italien und Spanien jeweils 13 Mrd. USD.
Das Office for National Statistics (ONS) des VK meldete im März 2021, dass die britischen Exporte in die EU im Januar, d. h. dem ersten Monat nach dem Brexit, um 40 % zurückgegangen seien. Zugleich fielen die Importe um nahezu 30 %. Das deutsche Statistische Bundesamt meldete für Januar 2021 bezogen auf Deutschland einen Rückgang der Exporte in das VK um 29 %, und einen Rückgang der Einfuhren um sogar 56 %.
2.4.3 Denkbare Falle: Lieferbedingung DDP
Unternehmen, die nach Großbritannien verkaufen, müssen nach Wirksamwerden des Austritts und Entstehung einer Zollgrenze mit ihren Abnehmern verbindlich klären, wer für die Zollformalitäten in Großbritannien verantwortlich ist. Insbesondere sollten sie vermeiden, selbst zur Abgabe von Einfuhrzollanmeldungen oder gar zur Bezahlung von Einfuhrabgaben verpflichtet zu sein. Potenziell problematisch ist in diesem Kontext der Incoterm DDP. Dieser bewirkt nämlich, dass der Lieferant sich verpflichtet, verzollt unversteuert zu liefern. Dementsprechend müsste er die Einfuhrverzollung in Großbritannien übernehmen und alle Abgaben tragen. Weitere Folgen für die Umsatzsteuer werden im entsprechenden Abschnitt (vgl. Teil H) erläutert.
Für den Ware...