Rz. 472
Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbares Urteil Berufung eingelegt, so kann das Berufungsgericht unter den weiteren Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt wird oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfindet. Bei der Entscheidung über einen solchen Einstellungsantrag sind die widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen sorgfältig gegeneinander abzuwägen und die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs summarisch zu prüfen (BGH, Beschluss v. 29.5.2019, I ZB 30/19, juris). Die befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung kann auch mit Auflagen zu versehen sein, die die wirtschaftliche Verwertung des vom Schuldner bewohnten Grundstücks des Gläubigers sicherstellen; in Betracht kommen insbesondere Auflagen an den Schuldner zur Zahlung der im Zusammenhang mit der Nutzung geschuldeten Geldbeträge und auch zur Mitwirkung gegenüber Sozialbehörden, die Leistungen an den oder zugunsten des Gläubigers erbringen können (BGH, Beschluss v. 26.10.2023, I ZB 11/23, GE 2004, 139). Für eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlich erfolgreichen Räumungsurteil für Gewerberäume in der Berufungsinstanz spricht, dass sich die Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen, auf denen die erstinstanzliche Entscheidung beruht, als nicht tragfähig erweisen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die für das Kündigungsmoratorium wegen Nichtzahlung der Miete für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020 (BGBl. I Nr. 14 S. 569–574) erforderliche Glaubhaftmachung des Zusammenhangs zwischen Covid-19-Pandemie und Nichtleistung bereits dann als erfolgt anzusehen ist, wenn eine Mitursächlichkeit der Pandemie für den Zahlungsverzug anzunehmen ist (OLG Nürnberg, Beschluss v. 19.10.2020, 13 U 3078/20, ZMR 2021, 172).
Wird ein Mieter zur Räumung der von ihm innegehaltenen Wohnung (allein) auf der Grundlage einer wegen Eigenbedarfs ausgesprochenen Kündigung verurteilt, so kann unter Beachtung von verfassungsrechtlichen Grundsätzen ein genereller Vorrang des Interesses des Gläubigers, aus dem nicht rechtskräftigen Urteil zu vollstrecken, nicht unterstellt werden; zu berücksichtigen ist vielmehr auch, ob der dem vertragstreuen Mieter zustehende Rechtsschutz effektiv eingeschränkt wird, ohne das der Vermieter über das allgemeine (vorläufige) Vollstreckungsinteresse hinaus gewichtige Gründe für sein Erlangungsinteresse geltend macht bzw. machen kann (LG Berlin, Beschluss v. 15.8.2019, 65 S 159/19, WuM 2019, 666). Die §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO finden zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bereits vor Einlegung des Rechtsmittels während der Dauer des Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Rechtsmittel entsprechende Anwendung (LG Berlin, Urteil v. 29.10.2020, 67 S 314/20, GE 2020, 150).
Rz. 473
Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist (§ 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dies gilt insbesondere für die Zwangsvollstreckung wegen Räumung von Wohn- oder anderen Räumen.
Vollstreckungschutz
Die Entscheidung über die Räumungsfrist im Erkenntnisverfahren schließt Vollstreckungsschutz selbst dann nicht aus, wenn im Vollstreckungsschutzverfahren dieselben Gründe wie im Erkenntnisverfahren geltend gemacht werden.
Betreibt der Vermieter die Räumungsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, gegen das der Räumungsschuldner Berufung eingelegt hat, kann der Schuldner grundsätzlich wählen, ob er beim Berufungsgericht einen Antrag gemäß §§ 707, 719 ZPO oder beim Vollstreckungsgericht einen Antrag gemäß § 765a ZPO stellt. Beide Anträge sind auch nebeneinander zulässig.
Rz. 474
Vollstreckungsschutz wird nur auf Antrag gewährt, der jedoch nicht ausdrücklich gestellt zu werden braucht. Vielmehr reicht es aus, dass der Schuldner besondere Umstände geltend macht, die die Vollstreckungsmaßnahme als sittenwidrige Härte erscheinen lassen. Der Antrag ist auch dann erforderlich, wenn die Zwangsvollstreckung im Berufungsurteil nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens – nicht aber bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens -vorläufig eingestellt wird (BGH, Beschluss v. 24.11.2010, XII ZR 31/10, NZM 2011, 122). Der Vollstreckungsschutzantrag, der von einer prozessunfähigen und auch nicht wirksam vertretenen Partei gestellt worden ist, ist unwirksam und darf nicht beschieden werden (BGH, Beschluss v. 17.8.2011, I ZB 73/09, ZMR 2012, 264).
Der Antrag kann i.d.R....