Das Wichtigste in Kürze:

1. Der Widerruf der Bewährung ist ultima ratio.
2. Der Widerruf kann auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen. Allerdings ist dabei das Beschleunigungsgebot zu beachten.
3. § 26 Abs. 1 JGG zählt abschließend die materiellen Widerrufsgründe auf.
4. Vom Widerruf kann gem. § 26 Abs. 2 JGG jedoch abgesehen werden.
5. Bei Nichterfüllung von Weisungen und Auflagen kommt auch die Verhängung von Ungehorsamsarrest in Betracht.
6. Leistungen, die der Jugendliche bisher erbracht hat werden bei einem Widerruf der Strafaussetzung nicht erstattet.
7. Das Verfahren über den Widerruf ist in §§ 58, 59 JGG geregelt.
8. Gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1 JGG) ist gem. § 59 Abs. 3 JGG sofortige Beschwerde zulässig.
9. § 453c StPO lässt bis zur Rechtskraft des Widerrufbeschlusses einen Sicherungshaftbefehl zu.
 

Rdn 144

 

Literaturhinweise:

s.a. die Hinweise bei → Bewährung, Widerruf, Allgemeines, Teil A Rdn 289.

 

Rdn 145

1. Kriminologisch ist es keineswegs selbstverständlich, dass der Jugendliche die Bewährungszeit problemlos durchsteht. Dass er die ihm erteilten bzw. von ihm übernommenen Pflichten erfüllt, regelmäßigen Kontakt zum Bewährungshelfer hält und keine Straftaten mehr begeht, ist in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel. Das Austesten von Grenzen, das Missachten von Autoritäten und auch das Begehen von Straftaten gehört zu den entwicklungs- und damit jugendtypischen Erscheinungen. Insofern dürfen an den Jugendlichen während der Bewährungszeit auch keine übertriebenen Erwartungen gestellt werden (HK-JGG/Maier § 26 Rn 3). Der Widerruf der Strafaussetzung kommt daher nur als ultima ratio in Betracht!

 

☆ Diese Grundsätze sind dem Gericht vom Verteidiger immer wieder vor Augen zu führen, um einen Automatismus bei der Entscheidung über den Widerruf zu verhindern."Automatismus" bei der Entscheidung über den Widerruf zu verhindern.

 

Rdn 146

Ein Bewährungswiderruf erfolgt überwiegend wegen Straftaten: Im Jahr 1997 zu 83,2 % bei Bewährungen gem. § 21 JGG. Hierbei schneiden die jüngeren, d.h. die 14- bis 15-Jährigen, aber auch die 16- bis 17-Jährigen gegenüber den Heranwachsenden und auch den Erwachsenen erheblich besser ab (Ostendorf, Grundlagen zu den §§ 21 – 26a, Rn 6). Die Widerrufsquote ist bei Jugendstrafe, die wegen "schädlicher Neigungen" verhängt wurden höher als bei den wegen "Schwere der Schuld" (Eisenberg, §§ 26, 26a Rn 15).

 

Rdn 147

2. Die Entscheidung über den Widerruf der Bewährung ist auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit möglich. Allerdings sind die zeitlichen Grenzen umstritten. Sie reichen von "jederzeit" (Brunner/Dölling, § 26 Rn 1), über "3 ½ Jahre rechtfertigen noch keinen Vertrauensschutz" (KG Beschl. v. 15.1.1999 – 1 AR 8/99 – 5 Ws 19/99, 1 AR 8/99, 5 Ws 19/99) und "10 Monate sind nicht mehr zeitnah" (LG München StV 2002, 434) bis zu "maximal 30 Tagen" (Ostendorf, § 26a Rn 3). Bei der Dauer ist jedenfalls das im Jugendstrafrecht herrschende Beschleunigungsgebot ebenso zu beachten wie die Tatsache, dass Zeit für Jugendliche eine andere Bedeutung hat als für Erwachsene. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten dahin, wegen der neuen Taten werde ein Widerruf nicht mehr erfolgen, kann sich jedoch dann nicht bilden, wenn ihm zeitnah zum Ablauf der Bewährungszeit von der Jugendkammer mitgeteilt wird, dass die Entscheidung über den Straferlass bis zum rechtskräftigen Abschluss eines noch anhängigen Verfahrens zurückgestellt werde (KG, Beschl. v. 26.4.2013 – 4 Ws 44/13; zum Widerruf bei Erwachsenen → Bewährung, Widerruf, Allgemeines, Teil A Rdn 289 m.w.N.).

 

Rdn 148

3. § 26 Abs. 1 JGG zählt abschließend (Eisenberg, §§ 26, 26a Rn 2) die materiellen Widerrufsgründe auf.

 

Rdn 149

a) Sämtliche Anlässe beziehen sich auf ein Verhalten in der Bewährungszeit (bei Nr. 1 ausdrücklich, bei Nr. 2,3 ergibt sich dies aus § 23 Abs. 1 JGG ("für die Dauer der Bewährungszeit"). Neue Straftaten in der "bewährungsfreien" Zeit zwischen dem Ende der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit und deren Verlängerung vermögen einen Widerruf jedenfalls dann nicht zu begründen, wenn der Verurteilte nicht zuvor auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen worden war (KG StV 2012, 484). Hat ein jugendlicher Verurteilter nach der Rechtskraft zweier Urteile, aber vor Bildung der Einheitsjugendstrafe gem. § 66 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Entscheidungsergänzungen, nachträgliche, Teil A Rdn 518 ff.) eine erneute Straftat begangen, so liegt die neue Straftat nicht "in der Bewährungszeit", so dass eine Verlängerung der Bewährungszeit unzulässig ist (AG Tiergarten ZJJ 2012, 89).

 

Rdn 150

b) Widerrufsgründe liegen vor, wenn der Jugendliche

in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass er die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag nicht erfüllt hat. Dies gilt auch, wenn die Tat zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen wurde (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Wurde die Jugendstrafe nachträglich durch Beschluss...

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