Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Rdn 552
Literaturhinweise:
s. die Hinweise bei → Sicherungsverwahrung, Allgemeines, Teil A Rdn 538 m.w.N.
Rdn 553
1. Eines der Kernprobleme der Sicherungsverwahrung ist, dass es bislang keine prognostische Sicherheit über das Verhalten eines Sicherungsverwahrten nach Entlassung in die Freiheit gibt (Rückfallprognose). Kriminologische Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens in 40 bis 70 % der Fälle fehlerhaft eine hohe Gefährlichkeit der begutachteten Personen prognostiziert wurde. Als gesichert kann gelten: Bei der Hälfte der auf Grundlage von Gutachten als gefährlich eingestuften Personen sind zur Verhinderung eines Rückfalls untergebracht sind, obwohl bei ihnen tatsächlich ein solcher Rückfall nicht eintreten würde (Kuhn/Uwer/von Schlieffen, S. 1). Die Erfahrungen mit den auf Grundlage von der Gerichtsentscheidungen des EGMR und BVerfG – zumeist unvorbereitet – Entlassenen bestätigen diese Annahme.
Rdn 554
2. Es handelt sich um erfahrungswissenschaftliche kriminalprognostische Wahrscheinlichkeitsaussagen. Über künftiges kriminelles Verhalten sind keine eindeutig sicheren Aussagen möglich. Auch bei einer hohen Anzahl von Risikofaktoren gibt es keine Sicherheit, dass ein Straftäter rückfällig werden muss (Nedopil NStZ 2002, 344, 347).
☆ Die Prognose und die Prognosemethodik des Sachverständigen muss immer kritisch geprüft werden. Die Gefahr falscher positiver Prognose ist hoch. Da sich die StVK zumeist dem Sachverständigen anschließt, muss der Sachverständige bezüglich der von ihm festgestellten Risikofaktoren kritisch in der Anhörung befragt werden.
Rdn 555
3. Neben dem Problem mangelnder Qualifikation der beauftragten Sachverständigen stellt sich insbesondere die Angst des Gutachters vor Fehlentscheidungen häufig als Grund für dessen ungünstige Prognose dar. Nicht selten befürchten die Sachverständigen eine mediale Hetzkampagne bei einer Rückfalltat nach einer günstigen Prognose (vgl. → Maßregelvollzug, Mandatsverhältnis, Teil C Rdn 119). Auch deshalb wird die Schwelle für günstige Prognosegutachten in der Regel zu hoch angesetzt (Kuhn/Uwer/von Schlieffen, S. 14).
☆ Das Gericht und der Sachverständige sollten immer auf die Problematikfalscher positiver Prognoseentscheidungen hingewiesen werden (Stichwort: False Positive ).Problematikfalscher positiver Prognoseentscheidungen hingewiesen werden (Stichwort: "False Positive").
Rdn 556
4. Die StVK soll durch das Gutachten in die Lage versetzt werden, eigenverantwortlich über die Fortdauer der Unterbringung zu unterscheiden. Deshalb bedarf es der Einhaltung bestimmter Mindeststandards. Das Gutachten muss nachvollziehbar und transparent sein, die Anknüpfungspunkte für Befundtatsachen und die Untersuchungsmethoden klar und vollständig erläutern sowie seine Hypothesen offen legen (BVerfGK, 5, 40).
Rdn 557
Auf die Frage der Gefährlichkeit kommt es gem. § 67d Abs. 2 S. 2 StGB nicht an, wenn der Verwahrte nicht ausreichend i.S.d. § 66c StGB betreut wurde und die Vollzugsanstalt trotz gerichtlicher Fristsetzung keine Abhilfe geschaffen hat (vgl. Rdn 608 f.).
Siehe auch: → Sicherungsverwahrung, Allgemeines, Teil A Rdn 537 m.w.N.