Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Wenn die Sicherungsverwahrung in der die Anlasstat betreffende Entscheidung weder angeordnet noch vorbehalten war, handelt es sich um eine nachträgliche Sicherungsverwahrung. Es ist zwischen Taten vor oder nach dem 1.1.2011 zu unterscheiden (Neufälle, Altfälle). |
2. |
Auf Grundlage des § 66b StGB kann für Taten ab dem 1.1.2011 eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67d Abs. 6 StGB mangels Vorliegens eines die Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB vermindernden Zustandes für erledigt erklärt wurde. |
3. |
Für vor dem 1.1.2011 begangene Taten sind die Anforderungen an eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung komplex. |
Rdn 564
Literaturhinweise:
s. die Hinweise bei → Sicherungsverwahrung, Allgemeines, Teil A Rdn 538 m.w.N.
Rdn 565
1. Wenn die Sicherungsverwahrung in der die Anlasstat betreffende Entscheidung weder angeordnet noch vorbehalten war, handelt es sich um eine nachträgliche Sicherungsverwahrung. Hierbei ist zwischen Altfällen (für vor dem 1.1.2011 begangene Taten) und Neufällen (nach diesem Stichtag begangene Taten) zu unterscheiden (zum JGG-Verfahren, → Jugendliche, Vollstreckung, Sicherungsverwahrung, Teil B Rdn 877).
Rdn 566
2. Neufälle: Auf Grundlage des § 66b StGB kann für Taten ab dem 1.1.2011 eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 67d Abs. 6 StGB mangels Vorliegens eines die Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB vermindernden Zustandes für erledigt erklärt wurde. Zugleich bedarf es dafür der hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66b S. 1 Nr. 2 StGB. Nachdem das BVerfG zunächst keine Bedenken gegen diese Art der nachträglichen Sicherungsverwahrung hatte (BVerfGE 109,133 m. kritischer Anm. Foth NStZ 2010, 267) sieht es nun doch erhebliche Belange des Vertrauensschutzes berührt.
Rdn 567
§ 66b StGB wird überwiegend als Verstoß gegen die EMRK angesehen. Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. a. EMRK setzt als Grundlage eine Freiheitsentziehung grundsätzlich die gerichtliche Feststellung einer schuldhaft begangenen Tat voraus. Wenn die ursprüngliche Anordnung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB auf einer ausgeschlossenen Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 StGB beruhte, liegt gerade keine Verurteilung wegen einer schuldhaft begangenen Tat vor. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK scheidet in diesen Fällen in aller Regel aus, weil eine psychische Erkrankunggerade nicht (mehr) besteht (EGMR NJW 2010, 2495; JR 2013, 78).
Rdn 568
Unter dem Eindruck dieser Rspr. des EGMH hat auch das BVerfG seine Rspr. geändert und die Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 104 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG erwogen (BVerfG StV 2013, 626). Im Ergebnis wird unter Berücksichtigung der mit Urteil des BVerfG v. 4.5.2011 gemachten Vorgaben und § 62 StGB eine verfassungskonforme Auslegung des § 66b StGB dahingehend erfolgen müssen, die derjenigen für Altfälle (vgl. unten Rdn 569) entspricht. Dies bedeutet, dass neben der Erledigungserklärung gem. 67d Abs. 6 Satz 1 StGB auch eine psychische Störung im Sinne des § 1 ThUG sowie eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten festgestellt werden muss (Zimmermann HRRS 2013, 164, 172).
Rdn 569
3. Altfälle: Für vor dem 1.1.2011 begangene Taten sind die Anforderungen an eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung komplex und sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen dargestellt werden. Neben den Voraussetzungen für Neufälle (vgl. oben Rdn 566 f.) muss zusätzlich eine psychische Störung vorliegen und aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Mandanten eine hochgradige Gefahr abzuleiten sein, dass infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen werden (Art. 316e Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 316 f. Abs. 2 S. 2 EGStGB). Zu den zahlreichen Problemen s. Anders JZ 2012, 498.
Rdn 570
Aus dieser Sachlage kommt dem Vorliegen einer psychischen Störung in Art. 316 f. Abs. 2 Satz 2 EGStGB dieselbe Bedeutung zu wie in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG (BT-Drucks 17/9874, S. 31; vgl. Rdn 568). Daraus wird gefolgert, dass es nun nach der Vorstellung des Gesetzgebers fünf Täterkategorien gibt, die sich wie folgt beschreiben lassen:
1. |
Schuldunfähige, |
2. |
vermindert Schuldfähige, |
3. |
Schuldfähige, die zugleich psychisch gestört sind, |
4. |
"bloße" Hangtäter und |
5. |
"gewöhnliche" Straftäter |
(Zimmermann HRRS 2013, 164, 173).
Rdn 571
Wegen des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG ist der Begriff der psychischen Störung problematisiert worden (Ullenbruch StV 2012, 44, 49; Nußstein NJW 2011, 1194). Noch problematischer dürfte allerdings die Frage sein, ob die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung noch mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Lit. e EMRK zu vereinbaren ist. Zum Meinungsstand: Zimmermann HRRS 2013, 164, 175.
Rdn 572
Dabei stellt sich in besonderer Weise die Frage ein...