Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Rdn 109
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil A Rdn 58.
Rdn 110
1. Für ein Verwerfungsurteil ist außer dem Umstand, dass u.a. für den ausgebliebenen, aber ordnungsgemäß geladenen Angeklagten (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Ladung, Allgemeines, Teil A Rdn 1591 ff.) auch ein Verteidiger mit Vertretungsvollmacht (→ Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Vertretung, Teil A Rdn 202) nicht erschienen ist, außerdem erforderlich, dass eine "genügende Entschuldigung" des Angeklagten fehlt.
Rdn 111
2. Über die genügende/nicht genügende Entschuldigung (weitere Rspr. bei Burhoff, HV, Rn 837 ff.) informiert folgendes
Rdn 112
☆ Eine genügende Entschuldigung wird man auch dann annehmen können/müssen, wenn der Angeklagte alles dafür getan hat, dass er im Berufungs-HV-Termin von (s)einem Verteidiger vertreten wird, dieser aber aus Gründen, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat, in der HV nicht erscheint (§ 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1)."genügende Entschuldigung" wird man auch dann annehmen können/müssen, wenn der Angeklagte alles dafür getan hat, dass er im Berufungs-HV-Termin von (s)einem Verteidiger vertreten wird, dieser aber aus Gründen, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat, in der HV nicht erscheint (§ 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1).
Rdn 113
Die weite Entfernung zwischen Wohn- und Gerichtsort rechtfertigt das Ausbleiben i.d.R. nicht (OLG Köln NJW 2002, 3741; LG Bielefeld NStZ-RR 1998, 343), kann aber im Fall einer Erkrankung (→ Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Endgültiges, Erkrankung, Teil A Rdn 154) das Erscheinen unzumutbar machen (OLG Stuttgart VRS 106, 209). Muss der Angeklagte zu Gericht anreisen, hat er Zeitreserven einzuplanen (OLG Bamberg NJW 1995, 740). Bei Anreise mit dem Pkw gilt dies auch, wenn nach den Berechnungen eines Routenplaners ein rechtzeitiges Eintreffen möglich erscheint, sich infolge der konkreten Verkehrslage dann aber nicht realisieren lässt (OLG Jena NStZ-RR 2006, 147). Hinzuweisen ist auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:
Rdn 114
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Ein unvorhersehbarer Wetterumschwung kann einen Entschuldigungsgrund darstellen (starker Nebel: OLG Bremen DAR 1956, 133; heftiger Schneefall: KG NStZ-RR 2002, 218); der Angeklagte sollte dann darlegen, dass auch die Wahl eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zum rechtzeitigen Erscheinen geführt hätte. |
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Nicht entschuldigt ist der Angeklagte, wenn er sich verspätet, weil er in einen – vorhersehbaren – Verkehrsstau geraten war (BVerfG StV 1994, 113 m. abl. Anm. Sieg zur Verkehrssituation in Frankfurt) oder keinen Parkplatz gefunden hat (KG, Beschl. v. 2.5.2001 – 3 Ws 142/01; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 27). Teilt der Angeklagte dagegen dem Gericht zunächst seine Verspätung aufgrund eines nicht vorhersehbaren Verkehrsstaus auf der Autobahn mit, woraufhin das Gericht die Verhandlung unterbricht, und kommt es später zu einem Verkehrsunfall, aufgrund dessen sein Pkw nicht mehr fahrbereit ist, ist dem Angeklagten Wiedereinsetzung wegen Versäumung der HV zu gewähren, weil er dem Termin unverschuldet ferngeblieben war (OLG Hamm, Beschl. v. 11.6.2001 – 3 Ws 237/01). |
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Fahrzeugpannen sind i.d.R. nicht vorhersehbar und entschuldigen deshalb ein Fernbleiben oder eine Verspätung (BVerfG, Beschl. v. 11.12.1989 – 2 BvR 36/89; OLG Hamm NZV 1997, 493; VRS 97, 44; OLG Karlsruhe NJW 1973, 1515); bedenklich erscheint, dass im Fall des Nichtanspringens des Fahrzeugs, das eine Reinigung des Luftfilters erforderlich machte, weshalb der Angeklagte 17 Minuten zu spät zur HV erschien, eine genügende Entschuldigung verneint wurde (OLG Bamberg NJW 1995, 740). |
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Bietet sich eine zuverlässige Mitfahrgelegenheit, darf der Angeklagte darauf vertrauen (OLG Oldenburg StraFo 2009, 336; dazu Burhoff, HV, Rn 837 ff.). |
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Bei Anreise mit der Deutschen Bahn darf der Angeklagte einen erkennbar zu spät ankommenden Zug nicht auswählen; ihm kann jedoch Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn er seinen Zug verpasst hat (OLG Hamm NStZ-RR 1997, 368; OLG München wistra 2008, 480). Den Angeklagten trifft ein Verschulden, wenn er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie bei der Einlasskontrolle im Gericht nicht einplant (KG, Beschl. v. 15.1.2021 – 3 Ws 5/21 – 121 AR 243/20). Zum Schienenersatzverkehr OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2021 – 1 RVs 121/21, NStZ 2024, 248). S.a. Mittellosigkeit Teil A Rdn 131. |
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Ein Unfall (Sturzverletzung mit Gehirnerschütterung), den der Angeklagte um 7:30 Uhr auf dem Frankfurter Hauptbahnhof erleidet, vermag das Fernbleiben in der auf 9:00 Uhr angesetzten HV in Berlin jedoch deshalb nicht zu entschuldigen, weil es demjenigen, der sich gegen 7.30 Uhr noch in Frankfurt befindet, unmöglich ist, um 9:00 Uhr in Berlin im Gerichtsgebäude zu erscheinen (KG, Beschl. v. 27.6.2001 – 5 Ws 344/01). |
Rdn 115
Arztbesuch/Krankenhausaufenthalt
Eine ambulante oder stationäre Behandlung infolge einer Erkrankung (→ Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Endgült...