Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Einlegung von Rechtsmitteln erfolgt schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle. |
2. |
Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses ist es, dem Schriftstück den Inhalt der Erklärung wie auch die Person desjenigen, der sie abgibt, hinreichend zuverlässig entnehmen zu können. |
3. |
Medium der Rechtsmittelerklärung war klassischerweise Papier. Durch den elektronischen Rechtsverkehr haben sich aber grundlegende Veränderungen ergeben. Seit 1.1.2022 haben Verteidiger und Rechtsanwälte ihre Schriftsätze samt Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 32d S. 1). Verpflichtend (und Wirksamkeitsvoraussetzung) ist dies für die in § 32d S. 2 genannten Rechtsmittelschriftsätze der Berufung und Revision. |
4. |
Die in § 32a Abs. 3 genannten Vorgaben, um die Authentizität und Integrität des elektronischen Dokuments sicherzustellen, sind strikt zu beachten. |
Rdn 1509
Literaturhinweise:
Burhoff, Regierungsentwurf zu einem "Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz" – Die wichtigsten geplanten Änderungen
VRR 3/2024, 13 = StRR 4/2024, 10
ders., Formwirksamkeitsfragen bei Rechtsmitteln im Straf- und Bußgeldrecht, VRR 4/2024, 5
Deutscher, Vorsicht Falle – Pflicht zur elektronischen Übermittlung seit dem 1.1.2022 (§ 32d StPO), StRR 2022, 5
JungBauer, Einreichung elektronischer Dokumente via beA in straßenverkehrsrechtlichen Straf- und Bußgeldsachen, DAR 2022, 168
Siegmund, Die Pflicht zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten, NJW 2021, 3617
Anforderungen bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs, NJW 2023, 1681
Staub, Das beA – Eine Rechtsprechungssammlung für das Straf- und OWi-Recht nach etwas mehr als einem Jahr Praxis, NZV 2023, 337.
Rdn 1510
1. Rechtsmittel/Rechtsbehelfe müssen (ausgenommen der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, BGHSt 29, 173) schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Eine dritte Form – insbesondere telefonische Einlegung – lässt die StPO nicht zu. Für inhaftierte Angeklagte gilt § 299, wonach auf Rechtsmittel bezogene Erklärungen auch beim Amtsgericht des Verwahrungsorts zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können (zur rechtzeitigen Vorführung BGH, Beschl. v. 14.7.2021 – 3 StR 185/21, NStZ-RR 2021, 344).
Rdn 1511
2. Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses ist es, dem Schriftstück den Inhalt der Erklärung wie auch die Person desjenigen, der sie abgibt, hinreichend zuverlässig entnehmen zu können. Zudem muss feststehen, dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück dem Gericht mit Wissen und Wollen des Berechtigten zugeleitet worden ist.
Rdn 1512
3. Medium der Rechtsmittelerklärung war klassischerweise Papier. Der elektronische Rechtsverkehr hat dies grundlegend verändert und viele neue Fragen aufgeworfen. Der Angeklagte kann Rechtsmittel zwar nach wie vor mit Schreiben oder – soweit noch vorhanden – per Telefax einlegen. Dagegen sind Verteidiger und Rechtsanwälte gem. § 32d S. 1 seit 1.1.2022 gehalten, den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln, welches den Anforderungen des § 32a Abs. 3 und 4 entsprechen muss. Dabei handelt es sich um eine aktive Nutzungspflicht, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden kann (BT-Drucks. 18/9416, S. 50). Gem. § 32d S. 2 müssen Verteidiger und Rechtsanwälte insbesondere die Rechtsmittelschriftsätze in Form der Berufung und ihrer Begründung sowie der Revision, ihrer Begründung und die Gegenerklärung als elektronisches Dokument übermitteln. Die Regelung gilt über § 110c OWiG auch für die Rechtsbeschwerde bzw. den Antrag auf deren Zulassung (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.2.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22; OLG Hamm, Beschl. v. 24.8.2022 – 5 RBs 179/22). Die Einreichung als elektronisches Dokument ist insofern Wirksamkeitsvoraussetzung; die Nichteinhaltung (etwa wegen Versendung per Fax) führt zur Unwirksamkeit der Erklärung (BGH, Beschl. v. 9.8.2022 – 6 StR 268/22; NJW 2022, 3588; Beschl. v. 8.9.2022 – 3 StR 251/22, NStZ 2023, 54; Beschl. v. 24.5.2022 – 2 StR 110/22, StV 2022, 634 [Ls.]; Beschl. v. 7.12.2022 – 2 StR 140/22, StV 2023, 798; Beschl. v. 13.12.2022 – 1 StR 293/22; Beschl. v. 16.1.2023 – 5 StR 509/22; Beschl. v. 19.7.2023 – 2 StR 369/22; BT-Drucks. 18/9416 S. 51; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 32d Rn 2; KK/Graf, a.a.O., § 32d Rn 5). Nur wenn die Übermittlung eines elektronischen Dokuments aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist (etwa wegen Ausfall des Servers), darf in Papierform übermittelt werden; dies ist glaubhaft zu machen (§ 32d S. 3 und 4; dazu BGH, Beschl. v. 7.12.2022 – 2 StR 140/22, StraFo 2023, 139; Beschl. v. 5.9.2023 – 3 StR 256/23, StraFo 2023, 440; 2023, 347). Bei Verstößen des Verteidigers oder Rechtsanwalts im Anwendungsbereich des § 32d ist die Rspr. hinsichtlich der Wiedereinsetzung großzügig, sofern der ...