Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Rücknahmeerklärung muss inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei sein. |
2. |
Als Prozesshandlung ist die Rücknahmeerklärung grds. unwiderruflich und unanfechtbar. |
3. |
Bei der Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl besteht ein Unterschied. |
Rdn 1665
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Rücknahme, Allgemeines, Teil A Rdn 1657.
Rdn 1666
1.a) Ebenso wie bei der Erklärung über die Einlegung des Rechtsmittels muss auch dessen Rücknahme inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei, es muss ein Rücknahmewille (KG NStZ-RR 2010, 115) feststellbar sein. Die Rücknahmeerklärung ist bedingungsfeindlich (BGH NStZ 2017, 298).
Rdn 1667
b) Aus dem Grundsatz der formalen Akzessorietät folgt, dass die Rücknahmeerklärung in der Form der Rechtsmitteleinlegung zu erfolgen hat (BGH NStZ-RR 2023, 81; Meyer-Goßner/Schmitt, § 302 Rn 7).
☆ Wer gegen ein Urteil des AG schriftlich Berufung eingelegt hat, kann aber sein Rechtsmittel in der HV wirksam zurücknehmen, wenn er die Rücknahme zu Protokoll (der Geschäftsstelle) erklärt.Rücknahme zu Protokoll (der Geschäftsstelle) erklärt.
Rdn 1668
c) Die Rücknahme des Rechtsmittels stellt eine prozessuale Bewirkungshandlung (Prozesshandlung) dar, die erhebliche Rechtsfolgen hat (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Rücknahme, Allgemeines, Teil A Rdn 1662). Sie ist darin sowohl vergleichbar mit dem Verzicht auf das Rechtsmittel (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Allgemeines, Teil A Rdn 1735 ff.) als auch mit dessen Beschränkung (→ Berufung, Beschränkung, Teil A Rdn 227 ff.), weshalb die dort entwickelten Grundsätze auch auf die Rücknahme angewendet werden können.
Rdn 1669
Bezogen auf die Person des Angeklagten setzt der Verzicht prozessuale Handlungsfähigkeit (zur "Verhandlungsfähigkeit" Burhoff, HV, Rn 2694 ff.) voraus.
Rdn 1670
2. Als Prozesshandlung ist die Rücknahmeerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (BGH BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 11; auch Burhoff, HV, Rn 766 [Berufungsrücknahme], Rn 2624 ff.). Anfechtbarkeit oder ein Recht zum Widerruf wird dem Rechtsmittelführer nur dort zuerkannt, wo die Rücknahme auf einer Einflussnahme durch StA oder Gericht beruht, so in folgenden (i.Ü. auch Burhoff, HV, Rn 2694 ff.; zum Parallelfall der "erschlichenen" Berufungsbeschränkung → Berufung, Beschränkung, Teil A Rdn 287 ff. m.w.N.; KK/Paul, § 302 Rn 13 m.w.N.)
Rdn 1671
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wenn das Gericht sie – erwiesenermaßen – mit unlauteren Mitteln (etwa durch Drohung, Täuschung oder schwerwiegende Willensmängel) herbeigeführt hat (BGHSt 45, 51; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 307; OLG Jena StV 2019, 838), |
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wenn im Rahmen der Verständigung die Enthaftung des Angeklagten zugesagt, aber dann nicht eingehalten wird (LG Freiburg, Urt. v. 16.3.2005 – 7 Ns 300 Js 130/04 AK 71/04), |
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wenn sie aufgrund einer – auch irrtümlich – objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts beruht (BGHSt 46, 257), |
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wenn das Gericht unter Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens eine Aufklärung des Angeklagten über den weiteren Fortgang des Verfahrens unterlässt und dadurch der Gefahr einer den Verteidigungsinteressen zuwiderlaufenden Rechtsmittelrücknahme nicht begegnet (BGH NStZ 2004, 636; auch LG Saarbrücken StraFo 1997, 309), |
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nicht die Gewährung von Haftverschonung nach Ankündigung einer Rechtsmittelrücknahme, da das keine unzulässige Drohung mit (rechtswidriger) Aufrechterhaltung der U-Haft darstellt, die den Verurteilten zu einer Rechtsmittelrücknahme nötigen könnte (BGH StraFo 2006, 244; auch OLG München StV 2007, 459). |
☆ Insgesamt ist eine Einflussnahme zu verneinen , wenn der Rechtsmittelbefugte an die Rücknahme lediglich Erwartungen knüpft, die danach enttäuscht werden ( Meyer-Goßner/Schmitt , § 302 Rn 22).Einflussnahme zu verneinen, wenn der Rechtsmittelbefugte an die Rücknahme lediglich Erwartungen knüpft, die danach enttäuscht werden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 302 Rn 22).
Rdn 1672
3. Bei der Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl besteht ein Unterschied. Diese Rechtsbehelfsrücknahme führt nämlich nicht zu einem rechtsmittelfähigen Urteil, sondern nur zu einem diesem gleichstehenden (§ 410 Abs. 3) Strafanerkenntnis, das bei Rücknahme des Einspruchs wieder auflebt und Rechtskraft erlangt. "Ficht" der Angeklagte nach Einspruchsrücknahme diese an, ist sein Vorbringen als Antrag auf Fortführung des Strafverfahrens zu verstehen, auf den hin das AG dem Verfahren Fortgang zu geben und eine Entscheidung in der Sache zu treffen oder die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme festzustellen hat (OLG Jena NStZ 2007, 56; OLG Stuttgart OLGSt StPO § 410 Nr. 2).
Siehe auch: → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Allgemeines, Teil A Rdn 1292, m.w.N.; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Rücknahme, Verteidiger, Teil A Rdn 1673, m.w.N.; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Revision, Teil A Rdn 2203.