Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Zur Empfangnahme von Zustellungen kann rechtsgeschäftlich jede natürliche und verhandlungsfähige Person bevollmächtigt werden. |
2. |
Eine rechtsgeschäftliche Verteidigervollmacht ermächtigt den Verteidiger nur dann zum Zustellungsbevollmächtigen, wenn sie auch ausdrücklich die Berechtigung enthält, "… Zustellungen … entgegenzunehmen …". |
3. |
Die Wirksamkeit der Zustellung hängt davon ab, dass sich die Verteidigervollmacht bzw. beim Pflichtverteidiger die Bestellungsverfügung bei den Akten befindet bzw. als elektronisches Dokument in der Empfangseinrichtung des Gerichts gespeichert ist. |
4. |
Beim Wahlverteidiger besteht die Zustellungsvollmacht so lange fort, bis ihr Erlöschen dem Gericht entweder durch den (vormaligen) Verteidiger oder durch den Vollmachtgeber angezeigt wird. Beim Pflichtverteidiger endet die Zustellungsvollmacht, wenn die Bestellung endet. |
5. |
Bedient sich das Gericht bei der Zustellung von Entscheidungen des Verteidigers als Zustellungsbevollmächtigten, besteht gegenüber dem Mandanten eine Informationspflicht. |
6. |
Andere Personen, die nicht als Verteidiger tätig sind ("reine" Zustellungsbevollmächtigte), bedürfen einer besonderen Ermächtigung, um Zustellungen für den ursprünglichen Zustellungsadressaten wirksam entgegennehmen zu können. |
Rdn 1822
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Vollmacht, Allgemeines, Teil A Rdn 1772.
Rdn 1823
1. Zur Empfangnahme von Zustellungen kann rechtsgeschäftlich jede natürliche und verhandlungsfähige (LR-Lind, § 116a Rn 20) Person bevollmächtigt werden (§ 167 Abs. 1 BGB; LR-Graalmann-Scheerer, § 37 Rn 10). An die Person sind i.Ü. keine besonderen Anforderungen zu stellen. Im Strafverfahren sind dreierlei Arten von Zustellungsbevollmächtigung anzutreffen. Diese verdeutlichen folgendes
Rdn 1824
Schaubild: Bevollmächtigung zur Empfangnahme von Zustellungen
Bevollmächtigung zur Empfangnahme von Zustellungen |
Zustande kommen |
rechtsgeschäftlich § 167 Abs. 1 BGB |
kraft Gesetzes § 145a Abs. 1 |
rechtsgeschäftlich ("erzwungen") § 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 |
Umfang |
Ladungen Zustellung sonstige Mitteilungen |
keine Ladungen Zustellung sonstige Mitteilungen |
Ladungen Zustellung sonstige Mitteilungen |
Widerrufsmöglichkeit |
jederzeit |
jederzeit Anzeige bei Gericht erforderlich |
keine |
Rdn 1825
2.a) Eine rechtsgeschäftliche Verteidigervollmacht ermächtigt den Verteidiger nur dann zur wirksamen Entgegennahme von Zustellungen, wenn sie auch ausdrücklich die Berechtigung enthält, "… Zustellungen … entgegenzunehmen …". Beinhaltet sie dagegen nur ganz allgemein einen Verteidigungsauftrag, fehlt es an einer Legitimation zur Entgegennahme jedweder gerichtlichen Äußerung mit Wirkung für und gegen den Mandanten (zur Zustellungsvollmacht eingehend Burhoff, EV, Rn 5304 ff.; Burhoff, HV, Rn 3923 ff.).
Rdn 1826
b) Zur Verfahrenserleichterung wird der Wahlverteidiger, wenn er dem Gericht gegenüber eine schriftliche Verteidigungsvollmacht vorlegt, ab dem Zeitpunkt, in dem diese zu den Akten genommen wird, zum Zustellungsbevollmächtigten kraft Gesetzes (§ 145a Abs. 1). Damit erweitert § 145a Abs. 1 die rechtsgeschäftliche Verteidigervollmacht um die Zustellungsbevollmächtigung, so sie darin nicht enthalten war. Er schränkt sie insoweit ein, als er ihre Wirkung von der Anzeige des Erlöschens bei Gericht abhängig macht (OLG Köln NStZ-RR 2016, 175; Meyer-Goßner/Schmitt, § 145a Rn 11). Dies gilt auch für den Fall, in dem die (Muster-)Vollmacht ursprünglich zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigt hat, dieser Satz aber gestrichen wurde (OLG Dresden NStZ-RR 2005, 244; OLG Jena NJW 2001, 3204; OLG Köln NJW 2004, 3196; OLG Rostock NStZ-RR 2003, 336). Die Wirkung des § 145a Abs. 1 tritt auch ein, wenn der Angeklagte dem Verteidiger in der HV Vollmacht zu Protokoll erteilt.
☆ Nicht ausreichend ist es dagegen, dass der Verteidiger bei Gericht nur als solcher auftritt (BGHSt 41, 303). ausreichend ist es dagegen, dass der Verteidiger bei Gericht nur als solcher auftritt (BGHSt 41, 303).
Rdn 1827
Ist die vorgelegte Vollmacht unvollständig, weil sie den Bevollmächtigten nicht ausweist ("Blankovollmacht"), erfüllt sie die Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 nicht (KG VRR 2008, 355; OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 24).
Rdn 1828
c) Wird im OWi-Verfahren lediglich eine außergerichtliche Vollmacht vorgelegt, ist/war str., ob die Verwaltungsbehörde die Verjährung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG wirksam dadurch unterbrechen kann, dass sie den Bußgeldbescheid an den bevollmächtigten Rechtsanwalt gem. § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG zustellt ("Verjährungsfalle"). Die dazu von einzelnen OLG vertretenen Auffassungen (KG VRR 2009, 275; NStZ-RR 2011, 53; OLG Düsseldorf NJW 2009, 275; OLG Karlsruhe NStZ 2009, 295; OLG Zweibrücken VRR 2008, 356) stellen reine Ergebnisjurisprudenz dar, die außer Acht lässt, dass den Umfang der Bevollmächtigung allein der Vollmachtgeber bestimmt und die Intention, für das verwaltungsbehördliche Ordnungswidrigkeitenverfahren nur eine darauf bes...