Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Genügend entschuldigt ist der Angeklagte/Betroffene, wenn ihm unter den gegebenen Umständen ein – rechtzeitiges – Erscheinen nicht möglich oder nicht zumutbar war. |
2. |
Hinsichtlich nur ihm bekannter Entschuldigungstatsachen ist der Angeklagte/Betroffene darlegungspflichtig. |
3. |
Das LG hat von Amts wegen zu prüfen, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist. |
Rdn 171
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil A Rdn 58.
Rdn 172
1.a) Genügend entschuldigt ist der Angeklagte/Betroffene, wenn ihm unter den gegebenen Umständen ein – rechtzeitiges – Erscheinen
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objektiv nicht möglich bzw. billigerweise nicht zumutbar war und/oder |
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ihm – subjektiv – wegen seines Fernbleibens nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (OLG Düsseldorf StV 1985, 316; OLG Hamm VRS 109, 40; OLG Rostock StraFo 2001, 417; Graf/Eschelbach, § 329 Rn 15 m.w.N.) bzw. |
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ein solcher Vorwurf jedenfalls nicht nachweisbar ist (SSW-StPO/Brunner, § 329 Rn 3). |
Rdn 173
b) Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Angeklagte bei Gericht (genügend) entschuldigt hat; maßgeblich ist allein, dass er entschuldigt ist (u.a. BayObLG, Beschl. v. 31.3.2020 – 202 StRR 29/20, StV 2020, 855; KG VRR 2009, 433; OLG Köln StraFo 2008, 29; OLG Nürnberg NJW 2009, 1761). Der Begriff der genügenden Entschuldigung – ein Rechtsbegriff – ist infolge des Ausnahmecharakters der §§ 329 Abs. 1, 412 S. 1, 74 Abs. 2 OWiG weit auszulegen (BayObLG StV 2001, 228; Beschl. v. 31.3.2020 – 202 StRR 29/20, StV 2020, 855; OLG Bamberg StRR 2008, 306 m. Anm. Gieg; StRR 2013, 386; OLG Hamm StraFo 2012, 193), wobei das Gericht Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seinen Rechtsbehelf ernsthaft weiterverfolgen will, stets in seine Würdigung mit einzubeziehen hat (OLG München NJW 2008, 3797).
Rdn 174
2.a) Hinsichtlich nur ihm bekannter Entschuldigungstatsachen ist der Angeklagte/Betroffene darlegungspflichtig, da dem Gericht andernfalls jede Möglichkeit fehlen würde, das Entschuldigtsein zu überprüfen (OLG Köln StraFo 2006, 413); dabei hat er einen Sachverhalt schlüssig vorzutragen, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (KG VRS 108, 110). Das Entschuldigtsein scheitert aber nicht daran, dass der vorliegende Grund nicht rechtzeitig geltend gemacht wird (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331).
☆ Ein Angeklagter ist nicht zur Glaubhaftmachung (etwa § 45 Abs. 2 S. 1) oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet (KG, Beschl. v. 7.5.1997 – [5] 1 Ss 100/97 [29/97]; OLG Bamberg zfs 2012, 230). Ihm obliegt auch keine über die schlüssige Darlegung hinausgehende Mitwirkungspflicht (OLG Celle StV 1987, 192 für Beibringung eines amtsärztlichen Attests). Liegen Anhaltspunkte für eine Entschuldigung vor, so darf das Rechtsmittel/der Rechtsbehelf nur verworfen werden, wenn sich das Gericht die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht vorliegen. Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, sind die Voraussetzungen einer Verwerfung der Berufung nicht gegeben (h.M., u.a. BayObLG NJW 1998, 172; KG VRS 108, 110; OLG Hamm, Beschl. v. 9.11.2000 – 3 Ss 1056/00; OLG Jena, Beschl. v. 19.1.2004 – 1 Ss 200/03).nicht zur Glaubhaftmachung (etwa § 45 Abs. 2 S. 1) oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet (KG, Beschl. v. 7.5.1997 – [5] 1 Ss 100/97 [29/97]; OLG Bamberg zfs 2012, 230). Ihm obliegt auch keine über die schlüssige Darlegung hinausgehende Mitwirkungspflicht (OLG Celle StV 1987, 192 für Beibringung eines amtsärztlichen Attests). Liegen Anhaltspunkte für eine Entschuldigung vor, so darf das Rechtsmittel/der Rechtsbehelf nur verworfen werden, wenn sich das Gericht die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht vorliegen. Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, sind die Voraussetzungen einer Verwerfung der Berufung nicht gegeben (h.M., u.a. BayObLG NJW 1998, 172; KG VRS 108, 110; OLG Hamm, Beschl. v. 9.11.2000 – 3 Ss 1056/00; OLG Jena, Beschl. v. 19.1.2004 – 1 Ss 200/03).
Rdn 175
b)aa) Die Begründung für das Ausbleiben soll aber glaubhaft erscheinen müssen. Der Verteidiger sollte sich daher auf die Rspr. zur beschränkten Mitwirkungspflicht des Angeklagten nicht zu sehr verlassen, sondern die Entschuldigungsgründe nicht nur vortragen, sondern sie – soweit möglich – auch belegen.
Rdn 176
bb) Hinweise für den Verteidiger!
Der Verteidiger sollte Folgendes beachten:
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Der Verteidiger sollte zum Ausdruck bringen, dass es dem Angeklagten auf die Durchführung des Berufungsverfahrens ankommt, damit diesem nicht – qua Fiktionswirkung der §§ 329 Abs. 1, 412 S. 1 StPO, 74 Abs. 2 OWiG – unterstellt werden kann, er habe das Interesse an seinem Rechtsmittel/Rechtsbehelf verloren. |
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Steht zu befürchten, dass ein Umstand allein das Entschuldigtsein nicht zu begründen vermag, sind weitere Umstände darzulegen, da sich das Entschuldigtsein u.U. erst aus ei... |