Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die StPO kennt keine Wahrheitserforschung um jeden Preis. Die Aufklärung und Ahndung von Straftaten muss deshalb zurückstehen, wenn höherrangige Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte auf Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit entgegenstehen. |
2. |
Nach der Rspr. des BGH ist für die Annahme eines BVV eine umfassende Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. |
Rdn 2409
Literaturhinweise:
Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß
Beulke, Die Vernehmung des Beschuldigten – Einige Anmerkungen aus der Sicht der Prozeßrechtswissenschaft, StV 1990, 180
Gössel, Über das Verhältnis von Beweisermittlungsverbot und Beweisverwertungsverbot unter besonderer Berücksichtigung der Amtsaufklärungsmaxime der §§ 160, 244 II StPO – Zugleich eine Besprechung der Beschlüsse des Ermittlungsrichters und des BGH – 1 BGs 65/97 und 1 BGs 88/97,NStZ 1998, 126
Widmaier, Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust(?), NStZ 1992, 519
s.a. die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2009, bei → Revision, Verfahrensrüge, Allgemeines, Teil A Rdn 2312, bei → Revision, Verfahrensrüge, Widerspruchslösung, Teil A Rdn 2441, und zu BVV bei Burhoff, EV, Rn 1287 u. Burhoff, HV, Rn 1274.
Rdn 2410
1. Die StPO kennt keine Wahrheitserforschung um jeden Preis (BGHSt 14, 365; 31, 308). Die Aufklärung und Ahndung von Straftaten muss deshalb zurückstehen, wenn höherrangige Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte auf Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit entgegenstehen (BGHSt 19, 325, 326). Der Wahrung dieser Rechtsgüter dienen die Beweisverbote, die die Beweisgewinnung und Beweisverwertung im Strafprozess beschränken (der Begriff Beweisverbote geht zurück auf Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess).
☆ Terminologisch herrscht rund um die Beweisverbote ein kaum durchschaubares Durcheinander (s. Burhoff , EV, 1286 ff. u. Burhoff , HV, Rn 1273 ff., jew. m.w.N.). Der Verteidiger sollte sich deshalb darauf beschränken, sich einen Überblick über die Theorie der Beweisverbote und die umfangreiche Kasuistik der Rspr. zu verschaffen. herrscht rund um die Beweisverbote ein kaum durchschaubares Durcheinander (s. Burhoff, EV, 1286 ff. u. Burhoff, HV, Rn 1273 ff., jew. m.w.N.). Der Verteidiger sollte sich deshalb darauf beschränken, sich einen Überblick über die Theorie der Beweisverbote und die umfangreiche Kasuistik der Rspr. zu verschaffen.
Rdn 2411
Im Folgenden sollen die Beweisverbote in Beweiserhebungsverbote und BVV unterschieden werden. Die herrschende Meinung kennt keinen Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot auch automatisch ein BVV zur Folge hat (z.B. BGHSt 19, 331; 38, 219; BGH NStZ 1988, 142 m. Anm. Döring; NJW 1990, 1801; KK/Fischer, Einl. Rn 387; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 55). Abgesehen von den Fällen, in denen ein Verwertungsverbot ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist (wie z.B. in §§ 69 Abs. 3, 136a, 252, § 393 Abs. 2 AO, § 51 Abs. 1 BZRG), herrscht eine weitreichende Rechtsunsicherheit, die die Rspr. unkalkulierbar macht (siehe Beulke, StV 1990, 180, 184; Gössel, NStZ 1998, 126 ff.; Burhoff, EV, Rn 1286 ff.; Burhoff, HV, Rn 1273 ff.).
Rdn 2412
2.a) Nach der Rspr. des BGH ist für die Annahme eines BVV eine umfassende Rechtsgüterabwägung vorzunehmen: Dient die verletzte Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in erster Linie dem Schutz des Angeklagten, wie z.B. § 55 Abs. 2, liegt ein Verwertungsverbot fern (Rechtskreistheorie). Soll durch die verletzte Verfahrensvorschrift allerdings die verfahrensrechtliche Stellung des Angeklagten gesichert werden, liegt ein Verwertungsverbot nahe (BGHSt 38, 214, 220; eingehend Burhoff, EV, Rn 1286 ff.; Burhoff, HV, Rn 1273 ff.).
Rdn 2413
b) Infolge der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 27.2.1992 (BGHSt 38, 240; fortgeführt u.a. durch BGHSt 39, 349 und 42, 15) verwendet die Rspr. bei der Frage der Verwertbarkeit unzulässig erhobener Beweise zunehmend die sogenannte Widerspruchslösung (eingehend Burhoff, HV, Rn 4114 ff.). Diese besagt, dass jedenfalls der verteidigte Angeklagte ein BVV in der Revision nicht mehr geltend machen kann, wenn er der Verwertung des Beweismittels in der HV nicht rechtzeitig widersprochen hat. Hiervon ausgenommen sind nur die Fälle, in denen das Gesetz die Verwertung unzulässig erhobener Beweise unabhängig von der Zustimmung des Angeklagten verbietet, wie z.B. § 136a Abs. 3 bei verbotenen Vernehmungsmethoden.
Rdn 2414
Die Rspr. verlangt insoweit mittlerweile sogar einen sog. spezifizierten Widerspruch (BGHSt 52, 38). Es ist also nicht ausreichend, dass der Verteidiger einer Beweiserhebung bzw. Beweisverwertung überhaupt bis zum Zeitpunkt des § 257 widersprochen hat, wenn er sich später in der Revision auf das Vorliegen eines Beweisverbotes berufen möchte. Vielmehr muss er seinen Widerspruch begründen. In der Begründung ist zumindest in groben Zügen anzugeben, unter welchem Ges...