Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Rdn 2422
Literaturhinweise:
Arnoldi, Hauptverhandlungen in Zeiten von Sars-CoV-2/COVID-19, NStZ 2020, 313
Kulhanek, Saalöffentlichkeit unter dem Infektionsschutzgesetz, NJW 2020, 1183
s. die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2009
und bei → Revision, Verfahrensrüge, Allgemeines, Teil A Rdn 2312.
Rdn 2423
1. Die HV ist gem. § 169 GVG grds. öffentlich. Allerdings kann die Öffentlichkeit unter Beachtung der Vorschriften der §§ 171a bis 175, 177 GVG und § 48 JGG ausgeschlossen werden (Burhoff, HV, Rn 520 ff. m.w.N.). Sofern eine Verletzung der Öffentlichkeit gem. § 169 GVG oder eine Verletzung der Ausschlussregelungen der §§ 171a ff. GVG vorliegt, ist der Rügebereich des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 6 eröffnet (zur Verlegung der HV an einen anderen Ort Burhoff, HV, Rn 553 ff.).
Rdn 2424
Das ist der Fall in folgenden
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wenn der Zutritt zur Verhandlung nur in den Sitzungspausen möglich ist (BGH NStZ 2004, 510); |
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kein Aushang vor dem Sitzungssaal und auch kein Aushang im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes angebracht ist (KG, Urt. v. 21.12.2022 – (3) 121 Ss 165/22 (67/22) = NStZ 2023, 704). |
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die Öffentlichkeit über die in dem Ausschließungsbeschluss vorgesehene Dauer hinaus ausgeschlossen war (BGHSt 7, 218); |
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kein Gerichtsbeschluss oder nur eine Verfügung des Vorsitzenden zum Ausschluss der Öffentlichkeit vorliegt (OLG Hamm StraFo 2000, 195; BGHSt 17, 220, 222); |
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der Ausschließungsbeschluss nicht gem. § 174 Abs. 1 S. 3 GVG begründet worden ist (BGHSt 1, 334; 2, 56; 27, 117, 187; einschr. BGHSt 45, 117; BGH NStZ-RR 1999, 263 [K]; 2002, 262 [B]). |
☆ In der Praxis zu beachten ist auch folgender Sonderfall : Wird der Inhalt außerhalb der HV geführter Verständigungsgespräche unter Verstoß gegen § 243 Abs. 4 unzureichend mitgeteilt, liegt darin ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz, der zwar nicht unmittelbar dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 unterfällt, bei dem aber ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler regelmäßig gegeben sein wird (BVerfG NStZ 2015, 172).Sonderfall: Wird der Inhalt außerhalb der HV geführter Verständigungsgespräche unter Verstoß gegen § 243 Abs. 4 unzureichend mitgeteilt, liegt darin ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz, der zwar nicht unmittelbar dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 unterfällt, bei dem aber ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler regelmäßig gegeben sein wird (BVerfG NStZ 2015, 172).
Rdn 2425
2. Der Verfahrensverstoß des fehlerhaften Ausschlusses der Öffentlichkeit muss auf einem Verschulden des Gerichts beruhen (BGHSt 21, 72, 74; 22, 297; BGH, Beschl. v. 17.2.2023 – 5 StR 392/21; auch Arnoldi NStZ 2020, 313; Kulhanek NJW 2020, 1183). Das Verschulden untergeordneter Beamter vermag deshalb die Revision ebenso wenig zu begründen (OLG Karlsruhe NZV 2004, 421), wie ein zufälliges Ereignis (BGHSt 21, 72). Allerdings kann das Verschulden des Gerichts auch dann vorliegen, wenn es seine Aufsichtspflicht, z.B. gegenüber untergeordneten Beamten, verletzt hat (BGHSt 22, 297, 301; Burhoff, HV, Rn 553 für die Fälle der Verlegung der HV an einen anderen Ort).
☆ Der Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz kann geheilt werden, indem das Gericht den fehlerhaften Verfahrensabschnitt vollständig wiederholt (BGH NStZ-RR 2009, 35 [Ci]).geheilt werden, indem das Gericht den fehlerhaften Verfahrensabschnitt vollständig wiederholt (BGH NStZ-RR 2009, 35 [Ci]).
Rdn 2426
3. Das i.S. des § 344 Abs. 2 S. 2 notwendige Rügevorbringen ergibt sich aus folgender
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Die Mitteilung sämtlicher Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht die Öffentlichkeit beschränkt hat (BGH NJW 2006, 1220). |
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Sofern der Öffentlichkeitsausschluss auf einem Beschluss beruht, ist dieser ebenso im Wortlaut mitzuteilen, wie ein auf den Ausschluss der Öffentlichkeit abzielender Antrag eines Verfahrensbeteiligten. |
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Die Darlegung, dass und warum der Ausschluss der Öffentlichkeit rechtsfehlerhaft war (z.B. wegen fehlender Begründung des Beschlusses [§ 174 Abs. 1 S. 3]) und |
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der Vortrag, dass und warum das Gericht den fehlerhaften Öffentlichkeitsausschluss zu vertreten hat, soweit dies dem Revisionsführer möglich ist (BayObLG VRS 1987, 139; OLG Hamm StV 2002, 474; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2008, 50). |
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War der Zugang tatsächlich nicht beschränkt, muss der Revisionsführer ausführen, warum sich dennoch jemand, z.B. aufgrund eines missverständlichen Aushangs, von Teilnahme an der Sitzung hat abhalten lassen. |
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Als Negativtatsache der Vortrag, dass eine Heilung des Verfahrensfehlers durch Wiederholung des unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgenommenen Verfahrensabschnitts nicht stattgefunden hat. |
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Schließlich ist detailliert auszuführen, was unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde (BGH NStZ 2015, 226; 181) und dass im Falle eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses, dieser den unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgten Verhandlungsteil nicht zutreffend erfasst hat. |
Siehe auch: → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Allgemeines, Teil A Rd...