Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Anfechtungsberechtigt ist vor allem der Jugendliche/Heranwachsende, aber auch der gesetzliche Vertreter bzw. Erziehungsberechtigte. |
2. |
Nicht anfechtungsberechtigt ist z.B. die Jugendgerichtshilfe (JGH). |
3. |
Der Jugendliche ist unabhängig von seiner Verantwortungsreife (§ 3 S. 1 JGG) und seiner zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit zur selbstständigen Einlegung von Rechtsmitteln befugt, wenn er verhandlungsfähig ist. |
4. |
Legt ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter des Angeklagten Rechtsmittel ein und ist über das Rechtsmittel bei Eintritt der Volljährigkeit noch nicht entschieden, so kann der Angeklagte das Rechtsmittel auch dann weiter betreiben, wenn er vorher auf Rechtsmittel verzichtet hatte. |
Rdn 638
Literaturhinweise:
d’Alquen/Daxhammer/Kudlich, Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichtes eines jugendlichen Angeklagten unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung? StV 2006, 220
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 639
1. Anfechtungsberechtigt sind
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der Jugendliche/Heranwachsende, und zwar unabhängig von seinem Alter, soweit er nach allgemeinem Strafrecht verhandlungsfähig ist (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 3), |
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der gesetzliche Vertreter (§ 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 298) oder Erziehungsberechtigte (§ 67 Abs. 2 JGG) bis zum Eintritt der Volljährigkeit (auch gegen den Willen des Jugendlichen, allerdings nur zu seinen Gunsten; Ostendorf/Schady, § 55 Rn 4; Ostendorf/Drenkhahn, Rn 162), |
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der Verteidiger (§ 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 297); jedoch nicht gegen den Willen des Jugendlichen, auch nicht, wenn er durch den Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreter beauftragt wurde (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 5; a.A. Brunner/Dölling, § 55 Rn 4; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 13). Haben Verteidiger und Angeklagter beide wirksam verschiedene Rechtsmittel eingelegt, so gilt grds. das bei Gericht zuerst eingegangene; bei zeitgleicher Einlegung hat das weiter gehende den Vorrang, also die Berufung gegenüber der Revision (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 5; Brunner/Dölling, § 55 Rn 5), es sei denn dies widerspricht dem ausdrücklich geäußerten Willen des Jugendlichen (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 13); |
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die StA (§ 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 296), auch zugunsten des Jugendlichen. |
Rdn 640
2. Nicht anfechtungsberechtigt sind:
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der Beistand gem. § 69 JGG (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 8, § 69 Rn 9), |
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der Vertreter der Jugendgerichtshilfe (JGH) (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 8, § 38 Rn 68), |
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der Erziehungsbeistand (§ 12 Nr. 1 JGG, § 30 SGB VIII; Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 8; a.A. Ostendorf/Schady, § 55 Rn 4), |
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die für die Hilfe zur Erziehung gem. § 12 Nr. 2 JGG zuständige Behörde (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 8; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 14; a.A. Ostendorf/Schady, § 55 Rn 4). |
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der Betreuungshelfer (§ 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 JGG, § 30 SGB VIII) (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 14), |
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der Bewährungshelfer (OLG Koblenz, Beschl. v. 7.5.1996 – 2 Ws 276/96, NStZ-RR 1996, 300). |
Rdn 641
3. Der Jugendliche ist unabhängig von seiner Verantwortungsreife (§ 3 S. 1 JGG) und seiner zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit und ohne Bindung an Maßnahmen seiner gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten zur selbstständigen Einlegung von Rechtsmitteln, aber auch zu deren Rücknahme und zum Rechtsmittelverzicht befugt, wenn er verhandlungsfähig ist (Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 3; Ostendorf/Schady, § 55 Rn 3; D/S/S-Schatz, § 55 Rn 11). Die Verhandlungsfähigkeit setzt einen genügenden Grad an Reife und Einsichtsfähigkeit sowie die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung voraus; ob sie vorliegt, ist im Hinblick auf die jeweilige Prozesshandlung zu prüfen. Bei einem durch einen Jugendlichen erklärten Rechtsmittelverzicht (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelverzicht/-rücknahme, Teil A Rdn 847 ff.) ist die Verhandlungsfähigkeit kritisch zu prüfen; sie kann aufgrund des Eindrucks der gerade erfolgten Urteilsverkündung fehlen (d’Alquen/Daxhammer/Kudlich StV 2006, 220). Der gesetzliche Vertreter des Jugendlichen kann ein von diesem eingelegtes Rechtsmittel gegen dessen Willen nicht zurücknehmen (BGH, Beschl. v. 6.7.2016 - 4 StR 149/16, NStZ 2017, 724).
☆ Bei einem von dem Jugendlichen eingelegten Rechtsmittel ist grds . von seiner Verhandlungsfähigkeit auszugehen, sofern nicht gravierende Auffälligkeiten vorhanden sind.grds. von seiner Verhandlungsfähigkeit auszugehen, sofern nicht gravierende Auffälligkeiten vorhanden sind.
Bei einem Rechtsmittelverzicht ist die Verhandlungsfähigkeit des Jugendlichen immer sorgfältig zu untersuchen. Ggf. ist der Rechtsmittelverzicht mangels Verhandlungsfähigkeit unwirksam.
Rdn 642
4. Legt ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter des Angeklagten Rechtsmittel ein und ist über das Rechtsmittel bei Eintritt der Volljährigkeit noch nicht entschieden, so kann der Angeklagte das Rechtsmittel auch dann weiter betreiben, wenn er vorher auf Rechtsmittel verzichtet hatte (BGHSt 10, 174). Wenn ein Erziehungsberechtigter oder gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat und die Begrü...