Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Auch im Jugendstrafverfahren kann eine Anhörungsrüge erhoben werden. |
2. |
§ 356a gilt dann, wenn das Urteil wegen der Rechtsmittelbeschränkungen (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 809 ff.) unanfechtbar ist. |
3. |
Ist der Antrag erfolgreich, so ist das Verfahren in den vorherigen Stand zurückzuversetzen. |
4. |
In Berufungsverfahren kann u.U. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach der spezielleren Anhörungsrüge aus § 329 Abs. 7 gerügt werden; für unanfechtbare Beschlüsse kommt die speziellere Rügemöglichkeit aus § 33a zur Anwendung. |
Rdn 644
Literaturhinweise:
Eschelbach/Geipel/Weiler, Anhörungsrügen, StV 2010, 325
Rieble/Vielmeier, Riskante Anhörungsrüge, JZ 2011, 923
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 645
1. In § 55 Abs. 4 JGG ist auch im JGG-Verfahren eine Anhörungsrüge vorgesehen. Die Vorschrift wurde durch das Anhörungsrügengesetz vom 9.12.2004 eingeführt und ist seit dem 1.1.2005 in Kraft (→ Anhörungsrügen, Allgemeines, Teil B Rdn 1 ff.).
Rdn 646
Die Vorschrift ist anwendbar auf Jugendliche, auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 1 Nr. 7 JGG), auf Heranwachsende dann, wenn materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 109 Abs. 2 JGG).
Rdn 647
2.a) Soweit ein Urteil aufgrund der sachlichen Rechtsmittelbeschränkung nach § 55 Abs. 1 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 832 ff.) unanfechtbar ist oder soweit gegen ein Berufungsurteil wegen der instanziellen Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 2 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 812 ff.) keine Revision zulässig ist, ist gem. § 55 Abs. 4 JGG i.V.m. § 356a die Anhörungsrüge zulässig, wenn in dem jeweiligen Verfahren der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde und diese Verletzung für die Entscheidung erheblich war, (dazu Eschelbach, ZAP Fach 22, 605 ff.). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu stellen, wobei die Frist mit der Verkündung des (erstinstanzlichen oder Berufungs-)Urteils zu laufen beginnt, wenn die Verkündung in Abwesenheit der Antragsberechtigten stattfand (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 104; wegen der allgemeinen Einzelheiten → Anhörungsrügen, Allgemeines, Teil B Rdn 1 ff.; → Anhörungsrügen, Begründetheit, Teil B Rdn 16 ff.; → Anhörungsrügen, Zulässigkeit, Teil B Rdn 41 ff.).
Rdn 648
b) Antragsberechtigt sind der Verurteilte, der Erziehungsberechtigte oder gesetzliche Vertreter und der Verteidiger.
Rdn 649
3. Ist der Antrag erfolgreich, so ist das Verfahren in den vorherigen Stand zurückzuversetzen (krit. Eschelbach/Geipel/Weiler StV 2010, 325, 329; Rieble/Vielmeier JZ 2011, 923). Durch den Antrag wird die Vollstreckung jedoch nicht gehemmt.
☆ Wurde eine nach §§ 55 Abs. 4 JGG, 356a zulässige Anhörungsrüge nicht erhoben, so wird eine erhobene Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig sein.
Rdn 650
4. In Berufungsverfahren kann in den Fällen des § 329 Abs. 1 und 2 u.U. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach der spezielleren Anhörungsrüge des § 329 Abs. 7 gerügt werden. Die Anhörungsrüge des § 33a hingegen erfasst ausschließlich Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG in strafprozessualen Beschlussverfahren; sie gilt nur subsidiär und wird für das Beschwerdeverfahren durch § 311a und für das Revisionsverfahren durch § 356a als speziellere Regelung ersetzt.
Siehe auch: → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 602; → JGG-Besonderheiten, Anfechtungsberechtigung, Teil A Rdn 637; → Revision, Anhörungsrüge, Teil A Rdn 2025; → Anhörungsrüge, Allgemeines, Teil B Rdn 1, m.w.N.; → Anhörungsrügen, Begründetheit, Teil B Rdn 16; → Anhörungsrügen, Zulässigkeit, Teil B Rdn 41.