Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 59 JGG regelt die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Strafaussetzung zur Bewährung stehen. |
2. |
§ 59 Abs. 1 bezieht sich auf die Aussetzungsentscheidung als solche ("ob"). |
3. |
§ 59 Abs. 2 JGG bezieht sich auf die Modalitäten der Strafaussetzung ("wie"). |
4. |
Selbst wenn der Richter die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung im Urteil abgelehnt hat, kann diese noch nachträglich gem. § 57 Abs. 2 JGG angeordnet werden. |
5. |
Gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1 JGG) ist gem. § 59 Abs. 3 JGG sofortige Beschwerde zulässig. |
6. |
Der Beschluss über den Straferlass (§ 26a JGG) ist gem. § 59 Abs. 4 JGG nicht anfechtbar. |
Rdn 659
Literaturhinweise:
Heinrich, Zur Anfechtbarkeit der den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung ablehnenden Entscheidung im Jugendstrafverfahren, NStZ 2006, 417
Schäfer, Das Berufungsverfahren in Jugendsachen, NStZ 1998, 330
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 660
1. § 59 JGG regelt – abweichend vom allgemeinen Rechtsmittelsystem – die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Strafaussetzung zur Bewährung stehen.
Rdn 661
§ 59 Abs. 1 JGG ist anwendbar auf:
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Jugendliche, auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 1 Nr. 7 JGG), |
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Heranwachsende dann, wenn materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 109 Abs. 2 JGG). |
Rdn 662
2. § 59 Abs. 1 JGG bezieht sich auf die Aussetzungsentscheidung als solche ("ob").
Rdn 663
a) Gegen eine Entscheidung, durch welche die Aussetzung der Jugendstrafe angeordnet oder abgelehnt wird, ist gem. § 59 Abs. 1 S. 1 JGG, wenn sie für sich allein angefochten wird, sofortige Beschwerde zulässig (→ Beschwerde, sofortige Beschwerde, Teil A Rdn 550). Das Gleiche gilt gem. § 59 Abs. 1 S. 2 JGG, wenn ein Urteil nur deshalb angefochten wird, weil die Strafe nicht ausgesetzt worden ist.
Rdn 664
aa) § 59 Abs. 1 S. 1 JGG betrifft die Anordnung oder ausdrückliche Ablehnung der Aussetzung der Jugendstrafe, gleichgültig ob das Gericht durch Urteil oder nachträglich durch Beschluss entschieden hat (Eisenberg/Kölbel, § 59 Rn 20; Brunner/Dölling, § 59 Rn 4). Die Anordnung der Aussetzung und die daneben erfolgte Verhängung des Jugendarrests (§ 16a JGG) können dabei nur gemeinsam angefochten werden (Eisenberg/Kölbel, § 59 Rn 3).
Rdn 665
bb) § 59 Abs. 1 S. 2 JGG erfasst die Fälle, in denen nach §§ 61 ff. JGG die Entscheidung über die Strafaussetzung dem nachträglichen Beschlussverfahren vorbehalten bleiben soll (sog. "Bewährungsvorbehalt"; → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 608). Aus der Gesetzesfassung folgt, dass in dieser Konstellation nur zugunsten des Verurteilten ein Anfechtungsrecht besteht, also nur mit dem Ziel, die Jugendstrafe sofort zur Bewährung auszusetzen. Die StA kann daher das Urteil mit dem Ziel, eine unbedingte Jugendstrafe zu erreichen nur mit der Berufung oder Revision angreifen, nicht mit der sofortigen Beschwerde (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 20.6.1977 – 2 Ws 115/77, SchlHA 1978, 90; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.1985 – 4 Ss 650/85, NStZ 1986, 219; Ostendorf/Drenkhahn, § 59 Rn 4; Eisenberg/Kölbel, § 59 Rn 8; D/S/S-Schatz, § 59 Rn 10; Brunner/Dölling, § 59 Rn 4 a.A. OLG München, Beschl. v. 25.1.2005 – 2 Ws 1308/04, NStZ-RR 2005, 152; Walter/Pieplow NStZ 1988, 169).
Rdn 666
b) Zweck der Vorschrift ist eine Verfahrensbeschleunigung. Wenn es "nur" um Fragen der Strafaussetzung zur Bewährung geht, sollen die im zügigen Beschwerdeverfahren geklärt werden, um insgesamt "schnell zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu gelangen" (BT-Drucks. 1/3264, S. 46).
Rdn 667
c)aa) Wird das Urteil insgesamt oder der gesamte Rechtsfolgenausspruch angegriffen, so führt dies auch im Berufungs- oder Revisionsverfahren zur Überprüfung der Bewährungsentscheidung. Ergibt sich aus der Rechtsmittelbegründung jedoch, dass es dem Rechtsmittelführer ausschließlich um die Aussetzungsfrage geht, so wird – unabhängig von der Bezeichnung als Berufung oder Revision – das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde behandelt (OLG München, Beschl. v. 25.1.2005 – 2 Ws 1308/04, NStZ-RR 2005, 152; D/S/S-Schatz, § 59 Rn 5, 9; Schäfer NStZ 1998, 330, 332). Dies gilt auch dann, wenn die Aussetzungsfrage mit der Straffrage untrennbar verbunden ist und nach allgemeinen Grundsätzen eine gesonderte Betrachtung unmöglich ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.5.1989 – 5 Ss (OWi) 118/89 – (OWi) 55/89 I, MDR 1990, 178; Eisenberg/Kölbel, § 59 Rn 7).
☆ Aus Verteidigersicht ist die Berufung gegenüber einer sofortigen Beschwerde vorzugswürdig , da diese eine mündliche Verhandlung beinhaltet, wohingegen im Beschwerdeverfahren eine Entscheidung lediglich nach Aktenlage gefällt wird. Außerdem kann der längere Zeitraum, den das Berufungsverfahren erfordert, vom Verteidiger dazu genutzt werden, um mit dem jungen Mandanten, den Eltern und der Jugendgerichtshilfe auf eine verbesserte Situation und damit auch bessere Bewährun...