Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Jugendliche und sein Verteidiger sind zwingend unter Einhaltung der Ladungsfrist zu laden. |
2. |
Erziehungsberechtigte oder gesetzliche Vertreter "sollen" geladen werden. Eine Ladungsfrist ist nicht einzuhalten. |
3. |
Der Jugendgerichtshilfe wird Ort und Zeit der HV mitgeteilt, wobei eine förmliche Ladung nicht erforderlich ist. |
Rdn 802
Literaturhinweise:
Eisenberg, Anwendungsmodifizierung bzw. Sperrung von Normen der StPO durch Grundsätze des JGG, NStZ 1999, 281
Nowak, Die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung im Sinne von § 40 Abs. 3 StPO im Jugendstrafverfahren, JR 2008, 234
Richmann, Die Beteiligung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters am Jugendstrafverfahren 2002
Schäfer, Das Berufungsverfahren in Jugendsachen, NStZ 1998, 330
Schwer, Die Stellung der Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters im Jugendstrafverfahren 2004
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 803
1.a) Die Ladung ist an den jugendlichen Angeklagten persönlich zu richten (Eisenberg/Kölbel, § 50 Rn 16; D/S/S-Schatz, § 50 Rn 19). Die Ladung erfolgt wie im allgemeinen Strafverfahren. Die Ladungsfrist von 1 Woche (§ 217 Abs. 1) ist dabei zu beachten (allgemein zur Ladung zur HV Burhoff, HV, Rn 2260 ff.). Der Jugendliche kann auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichten, sofern er verhandlungsfähig ist.
Rdn 804
b) Eine öffentliche Zustellung der Ladung (§ 40; allgemein dazu → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Öffentliche Zustellung, Teil A Rdn 1938 ff.) und der damit zusammenhängende Aushang an der Gerichtstafel (§ 37 Abs. 1 i.V.m. §§ 185 ff. ZPO) unter Namensnennung sowie Angabe des im Rahmen des Strafverfahrens zur Last gelegten Tatvorwurfs widerspricht dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit (§ 48 JGG; dazu Burhoff, HV, Rn 2208 ff.; → JGG-Besonderheiten, Revision, Teil A Rdn 869 ff.). Eine öffentliche Zustellung der Ladung ist daher bei einem zur Tatzeit Jugendlichen unzulässig (OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.10.1986, StV 1987, 309; Eisenberg/Kölbel, § 2 Rn 46; D/S/S-Schatz, § 48 Rn 13; Brunner/Dölling, § 2 Rn 9; Eisenberg NStZ 1999, 286; Ostendorf/Schady, § 48 Rn 7; Schäfer NStZ 1998, 330; a.A. KG, Beschl. v. 27.9.2005 – 4 Ws 128/05, NStZ-RR 2006, 120 mit abl. Anm. Eisenberg/Haeseler, JR 2006, 303; Nowak JR 2008, 238).
Rdn 805
2.a) Der Vorsitzende "soll" gem. § 50 Abs. 2 S. 1 JGG die Ladung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters anordnen. Nach richtiger Auffassung wird jedoch aufgrund des verfassungsrechtlich verankertem Erziehungsrechts, der Bedeutung ihres Wissens für die Persönlichkeitserforschung des jungen Angeklagten und ihrer Schutzfunktion von einer Pflicht zur Ladung auszugehen sein (Eisenberg/Kölbel, § 50 Rn 28; Nöding, Rn 257; Ostendorf/Schady, § 50 Rn 11; Richmann, S. 82; Schwer, S. 111). U.U. kann ein Unterlassen der Ladung die Aufklärungsrüge begründen (D/S/S-Schatz, § 50 Rn 21; → JGG-Besonderheiten, Revision, Teil A Rdn 876).
Rdn 806
b) § 50 Abs. 2 S. 2 JGG verweist für die Ladung auf die Zeugenvorschriften (§§ 48, 51, 71). Dementsprechend besteht keine Ladungsfrist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn 1b; § 51 Rn 2). Die Ladung darf jedoch nicht so kurzfristig erfolgen, dass hierdurch die Wahrnehmung des Termins und eine ausreichende Vorbereitung faktisch unmöglich gemacht wird (D/S/S-Schatz, § 50 Rn 22). Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht, die Ladung kann formlos angeordnet werden (OLG Hamm, Besch. v. 15.1.2008 – 3 Ws 10, 11/08, NStZ 2009, 44). Will sich das Gericht jedoch vorbehalten, Ordnungsmittel gem. § 51 zu verhängen, muss eine förmliche Zustellung erfolgen, da nur so der Ladungsnachweis erbracht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn 1b; Nr. 117 Abs. 1 S. 1 RiStBV). In der Praxis kommt es eher selten vor, dass ein geladener, aber nicht erschienener Elternteil mit Ordnungsgeld oder Zwangsvorführung (§ 51 i.V.m. § 50 Abs. 2 JGG) belegt wird. Solchermaßen gemaßregelte Eltern werden auch kaum zur Wahrheitsfindung und Persönlichkeitserforschung beitragen können (Nöding, Rn 257; zur (fraglichen) Möglichkeit, ein Ordnungsgeld gegen Erziehungsberechtigte nach § 178 GVG zu verhängen, OLG Dresden, Beschl. v. 14.9.2009 – 2 Ws 410/09, NStZ 2010, 472).
Rdn 807
c) Sind mehrere Personen erziehungsberechtigt (z.B. während der Ehe beide Elternteile nach §§ 1626 f. BGB; BVerfGE 10, 59; BGHSt 22, 103) genügt es gem. § 67 Abs. 5 S. 3 JGG, wenn die vorgeschriebenen Mitteilungen und Ladungen nur an einen Erziehungsberechtigten gerichtet werden. Den Richtern wird empfohlen, Mitteilungen und Ladungen an alle ergehen zu lassen (Eisenberg/Kölbel, § 67 Rn 42 f; ablehnend Brunner/Dölling, § 67 Rn 10).
Rdn 808
3. Gem. § 38 Abs. 4 S. 1 JGG ist die Jugendgerichtshilfe (JGH) nun im Regelfall zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet (→ JGG-Besonderheiten, Revision, Teil A Rdn 874 ff.; zu Ausnahmen von der Teilnahmepflicht und den Folgen einer unzulässigen Nichtteilnahme Nöding, Rn 274 f.). Eine Ladung ist jedoch nicht v...