Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Anstaltsunterbringung zur Begutachtung des Entwicklungsstands ist in § 73 JGG geregelt. |
2. |
Gegen den Beschluss, der die Unterbringung zur Beobachtung anordnet, ist die sofortige Beschwerde zulässig. |
Rdn 922
Literaturhinweise:
Bohnert, Strafmündigkeit und Normkenntnis, NStZ 1988, 249
Esser/Fritz/Schmidt, Die Beurteilung der sittlichen Reife Heranwachsender im Sinne des § 105 JGG – Versuch einer Operationalisierung, MSchrKrim 1991, 356
Nix, § 3 JGG – eine immer wieder neu vergessene Rechtsvorschrift, ZJJ 2011, 416
Schilling, Begutachtung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit aus der Sicht eines Jugendpsychologen, NStZ 1997, 261
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 923
1.a) Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten kann der Richter gem. § 73 JGG nach Anhören eines Sachverständigen und des Verteidigers anordnen, dass der Beschuldigte in eine zur Untersuchung Jugendlicher geeignete Anstalt untergebracht und dort beobachtet wird. In diesem Fall ist dem Jugendlichen gem. § 68 Nr. 4 JGG ein Pflichtverteidiger zu bestellen (s.a. Burhoff, HV, Rn 2208 ff.; Burhoff, EV, Rn 2814). Die Verwahrung in der Anstalt darf nach § 73 Abs. 3 JGG die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.
Rdn 924
Die Unterbringung zur Beobachtung dient bei Jugendlichen zur Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zur Tatzeit (§ 3 JGG; dazu Nix ZJJ 2011, 416; Bohnert NStZ 1988, 249; Schilling NStZ 1997, 261), bei Heranwachsenden der Beurteilung der Frage, ob Jugendstrafrecht anzuwenden ist (§ 105 JGG; → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 607; auchEsser/Fritz/Schmidt MSchrKrim 1991, 356). Soll ausschließlich der psychische Zustand begutachtet werden (§§ 20, 21 StGB) ist statt § 73 JGG § 81 anzuwenden (Brunner/Dölling, § 73 Rn 4; D/S/S-Diemer, § 73 Rn 4).
Rdn 925
b) Voraussetzung der Unterbringung zur Beobachtung ist zum einen dringenden Tatverdacht, zum anderen muss die Unterbringung verhältnismäßig sein, d.h. die Unterbringung darf für den Betroffenen nicht schwerer wiegen als die in Betracht kommende Rechtsfolge (unzulässig bei zu erwartendem Jugendarrest: Brunner/Dölling, § 73 Rn 3, Eisenberg/Kölbel, § 73 Rn 8b: nur bei zu erwartender Jugendstrafe oder Hilfe zur Erziehung gem. § 12 Nr. 2 JGG; Ostendorf-Sommerfeld, § 73 Rn 4: nur bei Jugendstrafe; a.A. D/S/S-Diemer, § 73 Rn 6: auch bei Jugendarrest nicht von vornherein ausgeschlossen). Die Unterbringung muss zudem zur Vorbereitung des Gutachtens unerlässlich sein (D/S/S-Diemer, § 73 Rn 7), d.h. eine ambulante Untersuchung zur Erstellung des Gutachtens darf nicht ausreichen.
Rdn 926
c) Die Vorschrift ist anwendbar auf Jugendliche, auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 1 Nr. 12 JGG), auf Heranwachsende, unabhängig davon, ob materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 109 Abs. 1 S. 1 JGG).
Rdn 927
2.a) Gegen den Beschluss, der die Unterbringung zur Beobachtung anordnet ist die sofortige Beschwerde zulässig (§ 73 Abs. 2 S. 1 JGG; → Beschwerde, sofortige Beschwerde, Teil A Rdn 550).
Rdn 928
Die sofortige Beschwerde ist allerdings nur gegen den die Unterbringung anordnenden Beschluss zulässig. Der Ablehnungsbeschluss ist nicht gesondert anfechtbar; § 305 S. 2 bezieht sich nur auf einstweilige Unterbringungen nach § 126a (D/S/S-Diemer, § 73 Rn 18; Brunner/Dölling, § 73 Rn 10; Eisenberg/Kölbel, § 73 Rn 25 aA Ostendorf/Sommerfeld, § 73 Rn 12).
Rdn 929
Die weitere Beschwerde ist nicht statthaft (D/S/S-Diemer, § 73 Rn 18; Brunner/Dölling, § 73 Rn 10; Ostendorf/Sommerfeld, § 73 Rn 12; Bedenken bei Eisenberg/Kölbel, § 73 Rn 24), da sich die einstweilige Unterbringung in § 310 Abs. 1 nur auf § 126a bezieht (→ Beschwerde, weitere Beschwerde, Teil A Rdn 572).
Rdn 930
Mit der Revision kann die Rechtswidrigkeit der Unterbringung nicht gerügt werden (§ 336 S. 2); ggf. kommt eine Aufklärungsrüge wegen zu Unrecht unterlassener oder abgelehnter Unterbringung in Betracht (Eisenberg/Kölbel, § 73, Rn 25a; Ostendorf/Sommerfeld, § 73 Rn 12).
Rdn 931
Der Verteidiger darf – im Gegensatz zur Unterbringung gem. § 81 – nicht gegen den Willen des Beschuldigten sofortige Beschwerde einlegen, da nicht der Geisteszustand in Rede steht (Eisenberg/Kölbel, § 73 Rn 22). Daran ändert sich auch nichts, wenn der Verteidiger auf Anweisung des Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters handelt (Ostendorf/Sommerfeld, § 73 Rn 12; a.A. Brunner/Dölling, § 73 Rn 11).
Rdn 932
b) Das Beschwerdegericht überprüft nur die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, wozu auch die Einhaltung des richterlichen Ermessens (Brunner/Dölling, § 73 Rn 10) und die Zweckmäßigkeit der Unterbringung gehört (Eisenberg/Kölbel, § 73 Rn 23). In diesen Grenzen kann auch die Auswahl der Anstalt angeg...