Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Das Verbot der Schlechterstellung gilt auch im Jugendstrafverfahren. |
2. |
Wegen der individuellen Reaktionsmöglichkeiten ist die Frage, wann eine Verschlechterung vorliegt, nicht immer einfach zu beantworten. Eine Verschlechterung ist daher nicht nur abstrakt, sondern immer individuell, bezogen auf den konkreten Fall und die Situation des betroffenen Jugendlichen zu beurteilen. |
3. |
Die instanzielle Rechtsmittelbeschränkung nach § 55 Abs. 2 JGG soll nach h.M. auch bei einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot gelten (Ausnahme: greifbare Gesetzeswidrigkeit). |
Rdn 957
Literaturhinweise:
Baumann, Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und seine Besonderheiten im Jugendstrafrecht 1999
Kretschmann, Das Verbot der reformatio in peius im Jugendverfahren 1968
s a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 958
1.a) Das Verbot der Schlechterstellung gilt auch im Jugendstrafverfahren (§ 2 Abs. 2 JGG, §§ 331, 358 Abs. 1 S. 1) und zwar unabhängig davon, ob Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder Jugendstrafe verhängt wurden (BGHSt 10, 198, 202; OLG Celle StV 2001, 179; Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 31 ff.; Ostendorf/Schady, § 55 Rn 12; Brunner/Dölling, § 55 Rn 37). Die angefochtene Entscheidung darf demnach in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des jugendlichen Verurteilten geändert werden, wenn lediglich er, sein Verteidiger, sein Erziehungsberechtigter bzw. gesetzlicher Vertreter oder zu seinen Gunsten die StA das Rechtsmittel eingelegt hat (allgemein zum Verbot der Schlechterstellung → Berufung, Verschlechterungsverbot, Allgemeines, Teil A Rdn 291, m.w.N.).
Rdn 959
b) Das Verbot der reformatio in peius gilt für Berufung, Revision und Wiederaufnahme sowie für Beschlüsse, wenn hierdurch eine Rechtsfolge endgültig festgelegt wird, sog. urteilsgleiche Beschlüsse.
☆ Kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot liegt in einer Einbeziehung rechtskräftiger Entscheidungen im Berufungsrechtszug gem. § 31 Abs. 2 JGG, da ansonsten die einheitliche (schwerwiegendere) Maßnahme im Nachtragsverfahren gem. § 66 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Entscheidungsergänzungen, nachträgliche , Teil A Rdn 753 ff.) getroffen werden müsste, wo das Verschlechterungsverbot (ebenfalls) nicht gilt (D/S/S- Schatz , § 55 Rn 27; zu den Auswirkungen hinsichtlich der instanziellen Rechtsmittelbeschränkung (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen , Teil A Rdn 812 ff.). gegen das Verschlechterungsverbot liegt in einer Einbeziehung rechtskräftiger Entscheidungen im Berufungsrechtszug gem. § 31 Abs. 2 JGG, da ansonsten die einheitliche (schwerwiegendere) Maßnahme im Nachtragsverfahren gem. § 66 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Entscheidungsergänzungen, nachträgliche, Teil A Rdn 753 ff.) getroffen werden müsste, wo das Verschlechterungsverbot (ebenfalls) nicht gilt (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 27; zu den Auswirkungen hinsichtlich der instanziellen Rechtsmittelbeschränkung (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 812 ff.).
Rdn 960
Zu den urteilsgleichen Beschlüssen folgende Rechtsprechungsübersicht (D/S/S-Schatz, § 55 Rn 29; Ostendorf/Schady, § 55 Rn 13; MüKo-StPO/Kaspar, JGG, § 55 Rn 30):
Rdn 961
Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots bejaht bei Rechtsmitteln gegen
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Anordnung von Ungehorsamsarrest, auch im Rahmen der Durchsetzung von Bewährungsauflagen (§§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2, 23 Abs. 1 S. 4, 29 S. 2 JGG; → JGG-Besonderheiten, Ungehorsamsarrest, Teil A Rdn 906 ff.), |
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Beschlüsse über die Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 21, 57 Abs. 1, 59, 88 JGG; → JGG-Besonderheiten, Bewährungsfragen, Teil A Rdn 658 ff.; s.a. Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil A Rn 85 ff.), |
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Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen bei mehrfacher Verurteilung (§ 66 Abs. 2 S. 2 JGG; → JGG-Besonderheiten, Entscheidungsergänzungen, nachträgliche, Teil A Rdn 753 ff.), |
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Absehen von der weiteren Vollstreckung des Jugendarrests (§ 87 Abs. 3 JGG; ausführlich Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil B Rn 803 ff.), |
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Festsetzung einer Sperrfrist für die Restaussetzung der Jugendstrafe (§ 88 Abs. 5 JGG s. Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil B Rn 831), |
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Änderung der Dauer der Bewährungszeit (§§ 22 Abs. 2 S. 2, 88 Abs. 6 S. 1 JGG; (str. wie hier Eisenberg/Kölbel, § 55 Rn 82a; Brunner/Dölling, § 55 Rn 45; a.A. OLG Hamburg NJW 1981, 470; → JGG-Besonderheiten, Bewährungsfragen, Teil A Rdn 658 ff.; ausführlich Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil A Rn 175 ff.). |
Rdn 962
Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots verneint bei Rechtsmitteln gegen
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Änderung von Bewährungsauflagen und -weisungen, da diese von vornherein unter dem stillschweigenden Vorbehalt jederzeitiger Abänderung stehen (→ JGG-Besonderheiten, Bewährungsfragen, Teil A Rdn 658 ff.); |
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Abänderung von Erziehungsmaßregeln bzw. Auflagen §§ 11 Abs. 2, 15 Abs. 3 S. 1 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Abänderung von Entscheidungen, Teil A Rdn 582 ff.). |
Rdn 963
2.a) Die Rechtsfolgen nach dem JGG sind vielfältiger als im Erwachsenenstrafrecht und ber...