Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Gerichtlicher Rechtsschutz im Jugendstrafvollzug ist – wie bei Erwachsenen – über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu erhalten. |
2. |
Zuständig ist die Jugendkammer. |
3. |
Gegen die Entscheidung der Jugendkammer ist nur die Rechtsbeschwerde zum OLG möglich. |
4. |
Der Jugendliche kann einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen. |
5. |
Als informelle Konfliktlösung kommt eine Beschwerde bei der Anstaltsleitung in Frage. Auch hier soll der Jugendliche mündlich gehört werden. |
Rdn 997
Literaturhinweise:
Jesse, Aktuelle Herausforderungen im Jugendvollzug, ZJJ 2015, 123
Kamann, Vollstreckung und Vollzug der Jugendstrafe 2009
Köhne, Das Ende des "gesetzlosen" Jugendstrafvollzuges, ZRP 2007, 109
Kretschmer, Ergänzungen und Alternativen zum strafvollzugsrechtlichen Rechtsschutzsystem, ZfStrVo 2005, 217
Ostendorf, Die gesetzlichen Grundlagen für den Jugendstrafvollzug, ZJJ 2015, 112
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 603.
Rdn 998
1.a) Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 31.5.2006 (BVerfG, Urt. v. 31.5.2006 – 2 BvR 1673/04 u. 2 BvR 2402/04, NJW 2006, 2093) für den Jugendstrafvollzug eine gesetzliche Grundlage gefordert (dazu Köhne ZRP 2007, 109). Da das Recht des Vollzugs seit der Föderalismusreform 2006 Sache der Länder ist, sind diese auch für den Jugendstrafvollzug zuständig. Inzwischen gibt es in zehn Bundesländern (Berlin, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Sachsen, Saarland, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Hessen) eigene Jugendstrafvollzugsgesetze, sechs Bundesländer (Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Bayern) regeln den Jugendstrafvollzug in "Kombinationsgesetzen", die sowohl den Jugend- wie auch den Erwachsenenstrafvollzug erfassen (zu den einzelnen Jugendstrafvollzugsgesetzen Ostendorf, a.a.O.; siehe auch die Kommentierung des Berliner Jugendstrafvollzugsgesetzes mit Verweisen auf die entsprechenden Regelungen der anderen Bundesländer in D/S/S). Hinweise zur Verteidigung befinden sich auch bei Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil C Rn 437 ff.
Rdn 999
b) § 92 JGG regelt den gerichtlichen Rechtsschutz sowohl für den Jugendarrest als auch für die Jugendstrafe bzw. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (s. Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil C Rn 532 ff.). Gerichtlicher Rechtsschutz besteht im Antrag auf gerichtliche Entscheidung und – nachfolgend – in der Rechtsbeschwerde.
Rdn 1000
c) Die Stellung des Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters ist die gleiche wie im jugendgerichtlichen Erkenntnisverfahren (§ 92 Abs. 1 S. 2 JGG ordnet die entsprechende Geltung der Vorschriften über die Beteiligung an). Dies bedeutet,
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soweit der Gefangene ein Recht darauf hat, gehört zu werden, Fragen und Anträge zu stellen, steht dieses Recht auch den Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertretern zu (§ 67 Abs. 1 JGG), |
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ist eine Mitteilung an den Gefangenen vorgeschrieben, so soll die Mitteilung auch an die Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreter gerichtet werden (§ 67a Abs. 1 JGG), |
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die Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreter können einen Verteidiger wählen oder |
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Rechtsmittel einlegen (§ 67 Abs. 2 JGG). |
Rdn 1001
d) Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Jugendvollzug gelten die §§ 109 und 111 bis 120 StVollzG entsprechend, allerdings kann das Landesrecht vorsehen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung erst nach einem Verfahren zur gütlichen Streitbeilegung zulässig ist.
Rdn 1002
Von der Möglichkeit des Güteverfahrens vor einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat nur das Saarland Gebrauch gemacht. Gem. § 87 Abs. 4 JStVollzG Saarland kann ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung erst nach einem Verfahren zur gütlichen Streitbeilegung gestellt werden. Dieses Schlichtungsverfahren wird vom Vollstreckungsleiter, also dem Jugendrichter, durchgeführt. NRW hat gem. § 97 Abs. 2 JStVollzG NRW einen "Justizvollzugsbeauftragten" eingeführt, an den sich inhaftierte Jugendliche und Heranwachsende unabhängig von gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten wenden können. Diese zusätzliche Beschwerdemöglichkeit stellt jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung dar.
Rdn 1003
e) Durch die Bezugnahme auf §§ 109 ff. StVollzG gelten folgende Voraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung:
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Der Antragsteller muss geltend machen, durch eine Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 109 Abs. 2 StVollzG). |
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat grds. keine aufschiebende Wirkung (§ 114 StVollzG). Das Gericht kann jedoch den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzen oder entsprechend § 123 VwGO eine einstweilige Anordnung erlassen. Dieser Antrag kann schon vor dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden. |
Rdn 1004
2. Örtlich und funktionell zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist grds. die Jugend...