Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Rechtsbeschwerde ist bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, grds. binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. |
2. |
Für die Wirksamkeit der Einlegung ist die Bezeichnung des Rechtsmittels durch den Beschwerdeführer nicht entscheidend. |
3. |
Hat der Beschwerdeführer vor der Rechtsmitteleinlegung einen Rechtsmittelverzicht erklärt, kann die Einlegung unwirksam sein. |
4. |
Der Verteidiger sollte bei der Einlegung eines Rechtsmittels noch keine Rechtsbeschwerdebegründung anbringen. |
5. |
Gem. § 273 Abs. 4, der über § 46 Abs. 1 OWiG auch im OWi-Verfahren gilt, darf das Urteil nicht zugestellt werden, ehe das Hauptverhandlungsprotokoll fertiggestellt ist. |
Rdn 1088
Literaturhinweise:
Berndt, Neue Tendenzen im Recht der Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen?, StraFo 2003, 112
Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432
Staub, Das Nachholen der Begründung von Rügen der Verletzung des formellen Rechts/Formalrügen nach Ablauf der Revisions-/Rechtsbeschwerdebegründungsfrist im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, DAR 2017, 425
s.a. die Hinw. bei → Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 1045.
Rdn 1089
1.a) § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, der die Vorschriften der StPO über die Revision für entsprechend anwendbar erklärt, führt dazu, dass die Rechtsbeschwerde gem. § 341 Abs. 1 bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird ("iudex a quo"), grds. binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden muss. Verteidiger bzw. Rechtsanwälte sind wegen § 32d S. 2, der über § 79 Abs. 3 und § 110c OWiG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechende Anwendung findet, gehalten, die Einlegung der Rechtsbeschwerde per elektronischem Dokument gemäß § 32a Abs. 2 bis Abs. 4 vorzunehmen. Hier empfiehlt sich die Übermittlung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA). Bei Missachtung dieser Formvorschrift verwirft das AG die Rechtsbeschwerde als unzulässig (hierzu KG, Beschl. v. 11.5.2022 – 3 Ws (B), 88/22, NJW 2022, 2286). Allerdings kann in einem solchen Fall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden, da ein Verschulden des Verteidigers dem Betroffenen nicht zugerechnet wird (KG, a.a.O.; → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Voraussetzungen, Teil B Rdn 1562 ff.). Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der für § 110c Ergänzungen vorsieht, sollen künftig die Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und ihre Rücknahme, der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, seine Begründung und seine Rücknahme sowie die Gegenerklärung zwingend als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen. Der Verteidiger sollte dies im Blick behalten.
Rdn 1090
b) Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Betroffenen stattgefunden und war dieser auch nicht durch einen gem. § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten, beginnt die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 4 OWiG erst mit der Zustellung; das Gleiche gilt, wenn ein Beschluss nach § 72 OWiG ergangen ist (Einzelh. zu Form und Frist der Rechtsbeschwerdeeinlegung → Rechtsbeschwerde, Form, Teil A Rdn 1110 und → Rechtsbeschwerde, Frist, Teil A Rdn 1124; zum Kreis der Anfechtungsberechtigten → Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 1045). Die notwendige Schriftform oder Protokollerklärung kann grds. nur durch eine Rechtsmitteleinlegung beim Ausgangsgericht gewahrt werden, nicht durch eine solche bei einem anderen AG oder dem Rechtsbeschwerdegericht (BayObLG, Beschl. v. 12.3.1999 – 1 St RR 38/99; OLG Bamberg, Beschl. v. 7.10.2009 – 3 Ss 74/09). Eine Ausnahme gilt nur bei inhaftierten Betroffenen: Diese können ihre Rechtsbeschwerde gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 299 Abs. 1 und 2 auch zu Protokoll des AG, in dessen Bezirk die JVA liegt, einlegen.
Rdn 1091
2. Für die Wirksamkeit der Einlegung ist die Bezeichnung des Rechtsmittels durch den Beschwerdeführer nicht entscheidend (BGHSt 23, 233, 235; BGH NStZ-RR 1999, 262; OLG Düsseldorf VRS 80, 281; 75, 221, 222). Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist gem. § 300 i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG unschädlich. Das gilt sowohl für die fehlende als auch für die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels (Meyer-Goßner/Schmitt, § 300 Rn 2). Das Ziel des Beschwerdeführers ist aus dem Gesamtwortlaut der Eingabe zu ermitteln (BayObLG wistra 1995, 76). Erforderlich ist nur, dass sich aus der Eingabe deutlich der Wille ergibt, die ergangene Entscheidung anzufechten (KK/Hadamitzky, § 79 Rn 75).
☆ Hingegen scheiden bloße Missfallensäußerungen über die amtsrichterliche Entscheidung oder die bloße Ankündigung, einen Rechtsanwalt beauftragen zu wollen, als wirksame Rechtsmitteleinlegung aus, weil sich hieraus noch nicht der unbedingte Wille ergibt, die Entscheidung nicht bestehen lassen zu wollen (KK/ Hadamitzky , § 79 Rn 75). Das gleiche gilt, wenn der Betroffene lediglich e...