Dr. Holger Niehaus, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Zu belehren ist grds. sowohl über die Anfechtungsmöglichkeiten als auch über die Anfechtungsmodalitäten. |
2. |
Bei der Berufung ergeben sich aus § 35a S. 2 weitere Anforderungen an den Inhalt der Belehrung. |
3. |
Auch nach einem Freispruch oder einer Einstellung entfällt die Belehrungspflicht nicht unbedingt. |
4. |
Zu belehren ist insbesondere über die Rechtsmittelfrist. |
5. |
Die Belehrung muss auch umfassen, in welcher Form das Rechtsmittel einzulegen ist. |
6. |
Bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten ist der Hinweis erforderlich, dass die Einlegung des Rechtsmittels nur dann wirksam ist, wenn sie in deutscher Sprache erfolgt. |
Rdn 1357
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Belehrung, Allgemeines, Teil A Rdn 1337.
Rdn 1358
1. Zu belehren ist sowohl über die Anfechtungsmöglichkeiten als auch über die Anfechtungsmodalitäten, mithin über den statthaften Rechtsbehelf, die Frist, innerhalb derer er einzulegen und zu begründen ist und die Form, in der er einzulegen ist.
Rdn 1359
2. Im Zusammenhang mit einem berufungsfähigen Urteil ist der Angeklagte zusätzlich (§ 35a S. 2) darüber zu belehren, dass
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nach Einlegung dieses Rechtsmittels durch ihn die Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen und Erklärungen auch öffentlich erfolgen kann, wenn sie nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die er zuletzt angegeben hat (§ 40 Abs. 3; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Öffentliche Zustellung, Teil A Rdn 1959 ff.), |
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sein Rechtsmittel (ohne Sachprüfung) verworfen werden kann, wenn er bei Beginn der Berufungshauptverhandlung ausbleibt, sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt und auch nicht ordnungsgemäß vertreten ist (§ 329 Abs. 1; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil A Rdn 57 ff.), |
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die Verhandlung auch ohne ihn durchgeführt werden kann, soweit seine Anwesenheit nicht erforderlich ist, wenn er durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird oder – bei Verhandlung auf Berufung der StA – seine Anwesenheit nicht genügend entschuldigt ist (§ 3249 Abs. 2), |
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er zu dieser Verhandlung aber auch vorgeführt oder wegen dieser Verhandlung verhaftet werden kann (§ 329 Abs. 3) bzw. |
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er zu einer Berufungshauptverhandlung auch vorgeführt werden kann, wenn das Rechtsmittel von seinem gesetzlichen Vertreter eingelegt wurde (§ 330 Abs. 2). |
Rdn 1360
3. Auch nach einem Freispruch oder einer Einstellung entfällt die Belehrungspflicht nicht unbedingt. Denn bei einem Freispruch kann eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen in Betracht kommen, deren Versagung mit der sofortigen Beschwerde anzufechten ist. Wird das Verfahren durch Urteil wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt, kann nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen; auch diese Entscheidung ist mit der sofortigen Beschwerde anzufechten (→ Beschwerde, sofortige Beschwerde, Teil A Rdn 550).
Rdn 1361
4. Zu belehren ist über die Rechtsmittelfrist, und zwar über den Beginn und das Ende der Frist und darüber, dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muss.
Rdn 1362
Auch hier zeigt sich ein seltsames Verständnis von Kommunikation vor dem Hintergrund gerichtlicher Fürsorgepflicht. Denn der – zwingend – erforderliche Hinweis, dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muss (LG Saarbrücken NStZ-RR 2002, 334; Meyer-Goßner/Schmitt, § 35a Rn 11), macht überhaupt nur dann Sinn, wenn zuvor bekannt gemacht wurde, wann die Frist abläuft. Dem Angeklagten allein die konkrete Berechnung des Fristlaufs, also den für Nichtjuristen schwierigsten Part der Rechtsmitteleinlegung, aufzulasten, ist schlichtweg nicht verständlich (so aber die h.M., KK/Schneider-Glockzin, § 35a Rn 9; LR-Graalmann-Scheerer, § 35a Rn 22; Meyer-Goßner/Schmitt, § 35a Rn 11). Bezug genommen wird in den angeführten Kommentarstellen jew. auf eine Entscheidung des BVerfG (BVerfGE NJW 1971, 2217). Allerdings ergibt sich die dargestellte Allgemeinverbindlichkeit dieser verfassungsrechtlichen Erkenntnis aus der Entscheidung selbst nicht. Denn in diesem Einzelfall hat das BVerfG (a.a.O.) – zugegebenermaßen minimalistisch – lediglich zwei Dinge festgestellt, nämlich dass weder § 35a noch einer sonstigen Rechtsnorm entnommen werden kann, der Verfahrensbetroffene müsse auch auf eine mögliche Verlängerung der Anfechtungsfrist gemäß § 43 Abs. 2 hingewiesen...