Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 111
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil A Rdn 58.
Rdn 112
1.a) Hat nur die StA oder haben StA und Angeklagter Berufung eingelegt, kann nach § 329 Abs. 2 ohne den ordnungsgemäß geladenen und über die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens belehrten, gleichwohl aber ausgebliebenen und nicht vertretenen Angeklagten über die Berufung der StA zur Sache verhandelt werden; denn auch in dieser Konstellation ist die Durchführung des Berufungsverfahrens selbst der Dispositionsbefugnis des Angeklagten entzogen (BGHSt 17, 391).
☆ Wurde die Ladung öffentlich zugestellt (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Öffentliche Zustellung , Teil A Rdn 1935 ), darf zwar die Berufung des unentschuldigt nicht erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 verworfen, aber mangels Anwendbarkeit von § 40 Abs. 3 weder ohne ihn nach § 329 Abs. 2 verhandelt noch die Berufung der StA (teilweise) ohne seine Zustimmung zurückgenommen werden ( Rieß/Hilger NStZ 1987, 145 ff., 152).Ladung öffentlich zugestellt (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Öffentliche Zustellung, Teil A Rdn 1935), darf zwar die Berufung des unentschuldigt nicht erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 verworfen, aber mangels Anwendbarkeit von § 40 Abs. 3 weder ohne ihn nach § 329 Abs. 2 verhandelt noch die Berufung der StA (teilweise) ohne seine Zustimmung zurückgenommen werden (Rieß/Hilger NStZ 1987, 145 ff., 152).
Rdn 113
b) Daran hat sich durch die Neuregelung des § 329 durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe v. 17.7.2015 (BGBl I S. 1332) nichts geändert (vgl. Deutscher StRR 2015, 284, 289; Burhoff, HV, Rn 717). Allerding sollen durch die Neufassung des Abs. 2 2. Alt – "Abwesenheit nicht genügend entschuldigt" – nun auch die Fälle des nachträglichen Sich-Entfernens und des Versetzens in einen verhandlungsunfähigen Zustand (Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3) erfasst sein (so BT-Drucks 18/3562, S. 72; zw. Deutscher StRR 2015, 284; (→ Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Nichterscheinen, Teil A Rdn 186).
Rdn 114
c) Tritt für den Angeklagten ein vertretungsberechtigter Verteidiger auf, was zulässig ist, so gelten auch hier die bei → Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Vertretung, Teil A Rdn 206, dargestellten Grundsätze der Erforderlichkeitsprüfung (BT-Drucks 18/3562, S. 74). Gerade in diesen Fällen wird der Verteidiger darauf achten, ob nicht ggf. die sich aus § 244 Abs. 2 ergebende Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. Burhoff, HV, Rn 329; vgl. a. Sommer StV 2016, 55) eine Verhandlung in Anwesenheit des Angeklagten erforderlich macht. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten verschaffen muss, so z.B. bei einer Strafmaßberufung der StA (BayObLG DAR 1987, 315 [Rü]; OLG Hamm StV 1997, 346; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 21; OLG Köln StraFo 2011, 360; Burhoff, HV, Rn 648).
☆ Reicht in einer derartigen Konstellation (§ 329 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1) die Vertretung durch den schriftlich bevollmächtigten Verteidiger nicht mehr aus, muss die Berufungskammer die HV unterbrechen , den Angeklagten zur Fortsetzung der HV laden und ihn darauf hinzuweisen, dass im Falle seines unentschuldigten Nichterscheinens seine Berufung verworfen werden kann (zu allem a. Deutscher StRR 2015, 284; Sommer StV 2016, 55; Spitzer StV 2016, 48).HV unterbrechen, den Angeklagten zur Fortsetzung der HV laden und ihn darauf hinzuweisen, dass im Falle seines unentschuldigten Nichterscheinens seine Berufung verworfen werden kann (zu allem a. Deutscher StRR 2015, 284; Sommer StV 2016, 55; Spitzer StV 2016, 48).
Rdn 115
d) Hinweise für den Verteidiger
Auf folgende Punkte ist für die Verfahren aufgrund einer Berufung der StA hinzuweisen:
Rdn 116
aa) Nach § 329 Abs. 4 a.F. war gegen den ausgebliebenen Angeklagten die Vorführung oder Verhaftung anzuordnen, wenn bei einer Berufung der StA nicht ohne ihn verhandelt werden konnte. Daran hat sich nach dem neuen § 329 Abs. 3 1. Alt. in der Sache nichts geändert (vgl. a. Burhoff, HV, Rn 3661). Die Vorführung des Angeklagten dürfte i.Ü. auch dann grds. zulässig sein, wenn allein der Nebenkläger Berufung eingelegt hat (OLG Köln NStZ 2014, 296). Die Zwangsmaßnahmen stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie zur Durchführung der HV geboten sind. Haben Angeklagter und StA Berufung eingelegt, wird zunächst in Fällen des § 329 Abs. 1 die Berufung des Angeklagten verworfen und sodann über die Berufung der StA nach § 329 Abs. 2 S. 1 2. Alt. in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt oder bei erforderlicher Anwesenheit dessen zwangsweise Vorführung angeordnet (§ 329 Abs. 3 1. Alt.; vgl. a. Teil A Rdn 119).
Rdn 117
bb) In § 329 Abs. 5 S. 1 ist eine Informationspflicht des Gerichts vorgesehen, falls nach § 329 Abs. 2 S. 1 2. Alt. über eine Berufung der StA ohne Angeklagten und vertretungsbefugten Verteidiger verhandelt wo...