Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Gem. § 46 Abs. 1 OWiG gelten für das Bußgeldverfahren die Vorschriften des JGG sinngemäß, sofern das OWiG nicht anderes bestimmt. |
2. |
Bis zum Erlass des Bußgeldbescheides werden Jugendliche/Heranwachsende wie Erwachsene behandelt. |
3. |
Nach Einlegung des Einspruchs ist der Jugendrichter zuständig. |
4. |
Die Elternrechte gelten auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren; von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe kann jedoch abgesehen werden. |
5. |
Statthaftes Rechtsmittel ist die Rechtsbeschwerde. |
6. |
Grds. ist auch gegen Jugendliche/Heranwachsende Erzwingungshaft möglich, jedoch selten angebracht. |
7. |
Statt Erzwingungshaft kann der Jugendrichter dem Betroffenen Auflagen erteilen. |
8. |
Erfüllt der Jugendliche/Heranwachsende die Auflagen nicht, kann Jugendarrest verhängt werden. |
Rdn 719
Literaturhinweise:
Bohnert, Ordnungswidrigkeiten und Jugendrecht, 1989
Fromm, Über Besonderheiten im OWi-Verfahren gegen junge Verkehrsteilnehmer und Fahranfänger sowie verkehrsverwaltungsrechtliche Folgen, NZV 2016, 57
Krumm, OWi-Verfahren vor dem Jugendrichter – 10 Fragen und 10 Antworten, NZV 2010, 68
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.
Rdn 720
1. Gem. § 46 Abs. 1 OWiG gelten für das Bußgeldverfahren die Vorschriften des JGG sinngemäß, sofern das OWiG nicht anderes bestimmt (zu Jugendlichen und Heranwachsenden im OWi-Verfahren s. Burhoff/Gieg, OWi, Rn 2739 ff.).
Rdn 721
2.a) Jugendliche (wenn sie die gem. § 3 JGG nötige Reife haben; § 12 Abs. 1 OWiG; wobei dies im Ordnungswidrigkeiten wegen des oft schwer fassbaren Handlungsunrechts häufig zweifelhaft ist; vgl. KK-OWiG/Rengier, § 12 Rn 9) und Heranwachsende werden im Verfahren bis zum Erlass des Bußgeldbescheides wie Erwachsene behandelt. Dies bedeutet, dass (nur) ein Bußgeld gegen sie verhängt werden kann. Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel lässt das Gesetz nicht zu (BayObLG NJW 1972, 837; Burhoff/Gieg, OWi, Rn 2741).
Rdn 722
b) § 47 OWiG gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende. Die Verwaltungsbehörde als Verfolgungsbehörde der Ordnungswidrigkeit kann also auch ein Verfahren gegen Jugendliche wegen des fehlenden öffentlichen Interesses einstellen. § 47 OWiG ist gegenüber §§ 45, 47 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Diversion, Teil A Rdn 734 ff.) lex specialis (Bohnert, S. 60; Eisenberg, § 45 Rn 3).
Rdn 723
c) Gem. § 51 Abs. 2 OWiG wird ein Bescheid dem Betroffenen zugestellt und, wenn er einen gesetzlichen Vertreter bzw. Erziehungsberechtigten hat, diesem mitgeteilt. Unterlässt die Verwaltungsbehörde die erforderliche Mitteilung, so berührt dies nicht die Wirksamkeit des dem Jugendlichen ordnungsgemäß zugestellten Bescheides, verhindert allerdings den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist (Göhler/Seitz, § 51 Rn 51). Ein entsprechender Verfahrensmangel führt auch nicht zum Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren, da Verfahrensmängel der Verwaltungsbehörde, sofern sie keine Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Bescheides begründen, im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich sind (OLG Düsseldorf NJW 1982, 2833; OLG Hamm VRS 2007, 374).
Rdn 724
d) Jeder Erziehungsberechtigte kann jeweils selbstständig und aus eigenem Recht Einspruch einlegen (§ 67 Abs. 3 JGG). Dies bedeutet, ein Verzicht auf den Einspruch oder ein etwaiges Widersprechen gegenüber dem Einspruch des anderen Erziehungsberechtigten berührt stets nur das eigene Einspruchsrecht (KK-OWiG/Bohnert, § 67 Rn 33).
Rdn 725
3. Nach Einspruchseinlegung ist gem. § 68 Abs. 2 OWiG der Jugendrichter zuständig (dazu Krumm NZV 2010, 68 ff.).
Rdn 726
a) Im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt § 78 Abs. 3 JGG (allgemein zum vereinfachten Jugendverfahren → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 639 ff.) entsprechend. Dies bedeutet, dass gegen Jugendliche zur Vereinfachung, Beschleunigung und jugendgemäßen Gestaltung des Verfahrens von Verfahrensvorschriften abgewichen werden darf, soweit dadurch die Erforschung der Wahrheit nicht beeinträchtigt wird. Die Vorschriften über die Anwesenheit des Angeklagten (§ 50 JGG), die Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters (§ 67 JGG) und die Mitteilung von Entscheidungen (§ 70 JGG) müssen beachtet werden.
Rdn 727
b) Gem. § 46 Abs. 6 OWiG kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 JGG) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist (Burhoff/Gieg, OWi, Rn 2756).
Rdn 728
c) Da gegen Urteile und Beschlüsse nach § 72 OWiG als ausschließliches Rechtsmittel gem. § 79 OWiG die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ergeben sich hinsichtlich der instanziellen Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 2 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkungen, Teil A Rdn 820 ff.) keine Besonderheiten.
Rdn 729
d) Hinsichtlich der Kostenentscheidung (→ JGG-Besonderheiten, Kostenentscheidung, Teil A Rdn 797 ff.) gilt § 74 JGG entsprechend (§ 105 Abs. 1 OWiG), d.h. der Jugendrichter kann von der Auferlegung der Verfahrenskosten absehen.
Rdn 730
4.a) Vollst...