Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Eine Gesamtstrafenbildung – wie im allgemeinen Strafrecht – ist im Jugendstrafverfahren nicht zulässig. Es wird immer eine einheitliche Rechtsfolge festgesetzt, unabhängig davon, ob die Taten vor oder nach der letzten Verurteilung begangen wurden. |
2. |
Ist die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe gem. § 31 JGG unterblieben, so trifft der Richter eine solche Entscheidung gem. § 66 JGG nachträglich entweder durch Urteil oder Beschluss. |
3. |
Das aufgrund einer HV ergangene Urteil ist mit der Berufung oder Revision (nach Maßgabe der sachlichen Rechtsmittelbeschränkung nach § 55 Abs. 1 JGG) anfechtbar. |
4. |
Wird ohne HV entschieden, ergeht ein Beschluss. Dagegen ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben. |
Rdn 766
Literaturhinweise:
Schweckendieck, Zur Anwendbarkeit von § 31 II JGG in der Berufungsinstanz, NStZ 2005, 141
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.
Rdn 767
1. Eine Gesamtstrafenbildung – wie im allgemeinen Strafrecht – ist im Jugendstrafverfahren nicht zulässig. Vielmehr gilt das Prinzip der einheitlichen Maßnahme (Einheitsprinzip; § 31 JGG). Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt der Richter nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Ist diese einheitliche Festsetzung von Maßnahmen unterblieben, kann dies nach § 66 JGG noch nachträglich geschehen. Hat jedoch der Tatrichter im Urteil für in verschiedenen Altersstufen begangene Taten gemäß § 32 JGG allgemeines Strafrecht angewendet, kann hiervon nachträglich nicht abgewichen werden, sondern es ist eine Gesamtstrafe nach den allgemeinen Regeln zu bilden (OLG Stuttgart Justiz 2016, 35).
Rdn 768
2.a) Ist die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe gem. § 31 JGG unterblieben, so trifft der Richter eine solche Entscheidung gem. § 66 JGG nachträglich. Die Entscheidung ergeht entweder
▪ |
aufgrund einer HV durch Urteil, wenn die StA es beantragt oder der Vorsitzende es für angemessen hält (s. Rdn 777) oder |
▪ |
ohne HV durch Beschluss. |
☆ Wegen des Einheitsprinzips setzt die nachträgliche Festsetzung nicht voraus , dass der Jugendliche die Tat, für die er die zweite Sanktion erhalten hat, vor der ersten Verurteilung begangen hat.nicht voraus, dass der Jugendliche die Tat, für die er die zweite Sanktion erhalten hat, vor der ersten Verurteilung begangen hat.
Rdn 769
b) Die Vorschrift des § 66 JGG ist anwendbar auf:
▪ |
Jugendliche, nach pflichtgemäßem Ermessen des Richters auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 2 JGG), |
▪ |
Heranwachsende dann, wenn materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 105 Abs. 2 S. 1 JGG). |
Rdn 770
c) Das Gericht ist bei seiner Entscheidung an die jeweiligen Schuldsprüche und die sie tragenden Gründe gebunden. Es bemisst jedoch eine neue einheitliche Rechtsfolge, die von den früheren Beurteilungen unabhängig ist und auf einer Gesamtwürdigung aller einzubeziehenden Straftaten beruhen muss. Die Rechtsfolgen der einbezogenen Entscheidungen entfallen – als wären sie nicht ergangen – mit der Rechtskraft der Entscheidung nach § 66 JGG.
Rdn 771
d) Ist in einer der rechtskräftigen Entscheidungen eine Jugendstrafe verhängt und diese teilweise vollstreckt, so ist für die nachträgliche Entscheidung der Jugendrichter zuständig, der als Vollstreckungsleiter tätig ist (§ 66 Abs. 2 S. 4 JGG; zum Jugendrichter als Vollstreckungsleiter s. Burhoff/Kotz/Schimmel, Nachsorge, Teil Rn 939 ff.). In den sonstigen Fällen richtet sich die Zuständigkeit gem. § 66 Abs. 2 S. 3 JGG nach den Regelungen, die für die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gelten, also nach der Schwere der Rechtsfolge (§ 462a Abs. 3).
Rdn 772
Nach h.M. soll bei der Findung der neuen Rechtsfolge das Verschlechterungsverbot (→ JGG-Besonderheiten, Verschlechterungsverbot, Teil A Rdn 971 ff.) nicht gelten, da das Nachtragsverfahren gem. § 66 JGG kein Rechtsmittelverfahren darstellt; mit der nachträglichen Entscheidung sei keine andere Instanz im Rechtszug befasst. Da auch § 54 Abs. 2 S. 1 StGB keine Anwendung finden soll, dürfen ggf. auch die bisher angeordneten Rechtsfolgen insgesamt überschritten werden (D/S/S-Schatz, § 66 Rn 15; Brunner/Dölling, § 66 Rn 5; HK-JGG/Meier, § 66 Rn 9; Streng, Rn 238; Laubenthal/Baier/Nestler, Rn 521; a.A. Ostendorf, § 66 Rn 11: § 54 Abs. 2 S. 1 StGB analog zugunsten des Verurteilten; zw. Eisenberg, § 66 Rn 7). So soll auch im Wege der nachträglichen Entscheidung gem. § 66 JGG bei einer Häufung von Straftaten, die die Voraussetzungen für die Annahme von schädlichen Neigungen ergeben, erstmalig eine Jugendstrafe verhängt wer...