Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Jugendliche und sein Verteidiger sind zwingend unter Einhaltung der Ladungsfrist zu laden. |
2. |
Erziehungsberechtigte oder gesetzliche Vertreter "sollen" geladen werden. Eine Ladungsfrist ist nicht einzuhalten. |
3. |
Der Jugendgerichtshilfe wird Ort und Zeit der HV mitgeteilt, ebenfalls ohne zwingende Frist. |
Rdn 810
Literaturhinweise:
Eisenberg, Anwendungsmodifizierung bzw. Sperrung von Normen der StPO durch Grundsätze des JGG, NStZ 1999, 281
Schäfer, Das Berufungsverfahren in Jugendsachen, NStZ 1998, 330
Nowak, Die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung im Sinne von § 40 Abs. 3 StPO im Jugendstrafverfahren, JR 2008, 234
Kremer, Der Einfluss des Elternrechts auf die Rechtsmäßigkeit der Maßnahmen des JGG 1984
Richmann, Die Beteiligung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters am Jugendstrafverfahren 2002
Schwer, Die Stellung der Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters im Jugendstrafverfahren 2004
s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.
Rdn 811
1.a) Die Ladung ist an den jugendlichen Angeklagten persönlich zu richten (Eisenberg, § 50 Rn 11; D/S/S-Schatz, § 50 Rn 19). Die Ladung erfolgt wie im allgemeinen Strafverfahren. Die Ladungsfrist von 1 Woche (§ 217 Abs. 1) ist dabei zu beachten (allgemein zur Ladung zur HV Burhoff, HV, Rn 1809 ff.). Der Umstand, dass dem Angeklagten, einem Schüler, die Ladung zur (Berufungs-)HV zwei Tage vor Ferienbeginn zugestellt worden ist, ist ggf. ohne Bedeutung. Es besteht kein Erfahrungssatz, dass Schüler ihren Urlaub schon mehrere Tage vor Beginn der Ferien antreten (KG, Beschl. v. 2.9.1997 – 5 Ws 543/97). Der Jugendliche kann auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichten, sofern er verhandlungsfähig ist.
Rdn 812
b) Eine öffentliche Zustellung der Ladung zur Berufungs-HV (§ 40 Abs. 3; allgemein dazu → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Öffentliche Zustellung, Teil A Rdn 1935 ff.) und der damit zusammenhängende Aushang an der Gerichtstafel (§ 37 Abs. 1 i.V.m. §§ 185ff. ZPO) unter Namensnennung sowie Angabe des im Rahmen des Strafverfahrens zur Last gelegten Tatvorwurfs widerspricht dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit (§ 48 JGG; dazu Burhoff, HV, Rn 1774; → JGG-Besonderheiten, Revision, Teil A Rdn 880 ff.). Eine öffentliche Zustellung der Ladung ist daher bei einem zur Tatzeit Jugendlichen unzulässig (OLG Stuttgart NStZ 1987, 443; Eisenberg, § 2 Rn 31; D/S/S-Schatz, § 48 Rn 13; Brunner/Dölling, § 2 Rn 5; Eisenberg NStZ 1999, 286; Ostendorf, § 48 Rn 7; Schäfer NStZ 1998, 330; a.A. KG NStZ-RR 2006, 120 mit abl. Anm. Eisenberg/Haeseler JR 2006, 303; Nowak JR 2008, 238).
Rdn 813
2.a) Der Vorsitzende "soll" gem. § 50 Abs. 2 S. 1 JGG die Ladung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters anordnen. Nach richtiger Auffassung wird jedoch aufgrund des verfassungsrechtlich verankertem Erziehungsrechts, der Bedeutung ihres Wissens für die Persönlichkeitserforschung des jungen Angeklagten und ihrer Schutzfunktion von einer Pflicht zur Ladung auszugehen sein (Eisenberg, § 50 Rn 21; Zieger, Rn 113; Ostendorf, § 50 Rn 11; Kremer, S. 172; Richmann, S. 82; Schwer, S. 111). U.U. kann ein Unterlassen der Ladung die Aufklärungsrüge begründen (D/S/S-Schatz, § 50 Rn 21; → JGG-Besonderheiten, Revision, Teil A Rdn 891).
Rdn 814
b) § 50 Abs. 2 S. 2 JGG verweist für die Ladung auf die Zeugenvorschriften (§§ 48, 51, 71). Dementsprechend besteht keine Ladungsfrist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn 1b; § 51 Rn 2). Die Ladung darf jedoch nicht so kurzfristig erfolgen, dass hierdurch die Wahrnehmung des Termins und eine ausreichende Vorbereitung faktisch unmöglich gemacht wird (D/S/S-Schatz, § 50 Rn 22). Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht, die Ladung kann formlos angeordnet werden (vgl. OLG Hamm NStZ 2009, 44). Will sich das Gericht jedoch vorbehalten, Ordnungsmittel gem. § 51 zu verhängen, muss eine förmliche Zustellung erfolgen, da nur so der Ladungsnachweis erbracht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn 1b; Nr. 117 Abs. 1 S. 1 RiStBV). In der Praxis kommt es jedoch nicht vor, dass ein geladener, aber nicht erschienener Elternteil mit Ordnungsgeld oder Zwangsvorführung (§ 51) belegt wird. Solchermaßen gemaßregelte Eltern werden auch kaum zur Wahrheitsfindung und Persönlichkeitserforschung beitragen können (Zieger, Rn 113; zur (fraglichen) Möglichkeit, ein Ordnungsgeld gegen Erziehungsberechtigte nach § 178 GVG zu verhängen OLG Dresden NStZ 2010, 472).
Rdn 815
c) Sind mehrere Personen erziehungsberechtigt (z.B. während der Ehe beide Elternteile §§ 1626 f. BGB; vgl. BVerfGE 10, 59; BGHSt 22, 103) genügt es gem. § 67 Abs. 5 S. 3 JGG, wenn die vorgeschriebenen Mitteilungen und Ladungen nur an einen Erziehungsberechtigten gerichtet werden. Den Richtern wird empfohlen, Mitteilungen und Ladungen an alle ergehen zu lassen (Eisenberg, § 67 Rn 21; Albrecht, S. 354; a.A. Brunner/Dölling, § 67 Rn 3).
Rdn 816
3. Gem. § 38 Abs. 3 S. 1 JGG ist die Jugendgerichtshilfe (JGH) im gesamten Verfahren gegen eine...