Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Gerichtssprache ist deutsch. Das als wesentlicher Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens für jedermann geltende Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK) gewährleistet aber auch dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten, Angeschuldigten, Angeklagten und Verurteilten einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen.
2. Mit der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl L Nr. 280, S. 1) hatte die EU die Vorgaben zusammengefasst, um europaweit eine einheitliche Behandlung sprachunkundiger Ausländer zu forcieren. Im Gesetz zur Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren v. 2.7.2013 (BGBl I S. 1938) wurde die EU-Richtlinie in § 187 GVG in Deutschland umgesetzt.
3. Sprachunkundigkeit besteht in der mangelnden Fähigkeit oder generellen Unfähigkeit, die in deutscher Sprache stattfindende verbale/nonverbale Kommunikation zu erfassen und/oder sich aktiv an der in deutscher Sprache stattfindenden verbalen/nonverbalen Kommunikation zu beteiligen.
4. Der 15. Titel des GVG befasst sich in den §§ 184 f. GVG mit der Gerichtssprache.
 

Rdn 1680

 

Literaturhinweise:

Bittmann, Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts, NStZ 2010, 13

Brand, Dolmetschrechte für Beschuldigte: Magerer zweiter Versuch, DRiZ 2010, 94

Christl, Europäische Mindeststandards für Beschuldigtenrechte – Zur Umsetzung der EU-Richtlinien über Sprachmittlung und Information im Strafverfahren, NStZ 2014, 376

Dettmers/Dimter, Europäische Entwicklungen im Strafverfahrensrecht, DRiZ 2011, 402

Eschelbach, Verwendung fremdsprachiger Urkunden in öffentlichen Klagen HRRS 2007, 466

Esser, Garantien in der EU, in: Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 2011, § 53

Heldmann, Ausländer und Strafjustiz, StV 1981, 252

Klocke, Zugewanderte Inhaftierte und ihre Sprachenrechte, KrimJ 2006, 180

Kotz, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen zur Überwindung von Sprachbarrieren im Strafverfahren, StRR 2012, 124 ff.

ders., Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren, StV 2012, 626

ders., Anspruch des sprachunkundigen Angeklagten auf schriftliche Übersetzung verfahrenswesentlicher Unterlagen (§ 187 Abs. 2 GVG), StRR 2014, 364

Kranjcic, Dolmetschen im Strafverfahren: wider die Wörtlichkeit und für wirkliche Zweckorientierung (oder: Wem dient der Dolmetscher?), NStZ 2011, 657

Polakiewicz, Durchsetzung von EMRK-Standards mit Hilfe des EU-Rechts?, Chancen und Risiken Europäischer Rechtsetzung erläutert am Beispiel der Verfahrensgarantien in Strafverfahren, EuGRZ 2010, 11

Sagel-Grande, Die Sprache im Strafverfahren und im Strafvollzug, FS 2010, 100

Schmitz, Mandatsanbahnung in Haftsachen, NJW 2009, 40

Stunz/Fahl, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren – Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Union vom 9.3.2010 –, SchlHA 2010, 164

s.a. die Hinw. bei Burhoff, EV, Rn 4499 und Burhoff, HV, Rn 3647.

 

Rdn 1681

1.a) Die Gerichtssprache ist deutsch (§ 184 Abs. 1 S. 1 GVG). Das als wesentlicher Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens für jedermann geltende Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK) gewährleistet aber auch dem der deutschen Sprache nicht mächtigen (vgl. Rdn 1690) Beschuldigten, Angeschuldigten, Angeklagten und Verurteilten einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen. Ihm muss die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dies verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen. Er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (vgl. u.a. BVerfG NJW 1983, 2762; s.a. EuGH NJW 2016, 303 m. Anm. Böhm).

 

Rdn 1682

b) Mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache darf nicht zu einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs führen. Versäumt daher ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer eine Rechtsmittelfrist, so verbieten es die Rechtsschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG, die Versäumung der Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen beruht, als verschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen (BVerfG StV 1995, 394 [Ls.]).

 

Rdn 1683

Zum gleichen Ergebnis gelangt man unter Zugrundelegung des Diskriminierungsverbots (Art. 3 Abs. 3 GG), wie es in Art. 21 Charta der Grundrechte der EU (Charta), Art. 14 EMRK oder Art. 2 Abs. 1 IPBPR enthalten ist, da allein aufgrund der Sprache (hier in der Ausprägung der Sprachunkundigkeit) niemand benachteiligt werden darf. Zu einer Benachteiligung gegenüber Beschuldigten mit ausreichenden Deutschkenntnissen kommt es jedoch schon dann, wenn ...

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