Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 2194
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Allgemeines, Teil A Rdn 1732, und bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006.
Rdn 2195
1. Nach § 302 kann auf die Einlegung der Revision verzichtet werden. Der Rechtsmittelverzicht muss aber eindeutig und zweifelsfrei sein (vgl. BGH NStZ 2005, 47; OLG Hamm wistra 2003, 440 m.w.N.; OLG Köln NJW 1980, 2720). Diese Voraussetzungen liegen z.B. vor, wenn der Angeklagte nach Rücksprache mit seinem Verteidiger in der HV nach Verkündung des Urteils und Rechtsmittelbelehrung erklärt: "Ich nehme das Urteil an und verzichte auf Rechtsmittel." und diese Erklärung gem. § 273 Abs. 3 vollständig protokolliert, vorgelesen und genehmigt wurde (wegen der Einzelh. → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Erklärung, Teil A Rdn 1738; wurde die Erklärung nicht vorgelesen und genehmigt, soll dies allerdings nicht deren Wirksamkeit beeinträchtigen, sondern nur eine Frage des Nachweises darstellen, BGH NStZ 2014, 533; 2000, 441 f. m.w.N.; BGH, Beschl. 8.9.2015 – 4 StR 272/15).
☆ Nach gefestigter Rechtsprechung muss dem Angeklagten vor der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts Gelegenheit gegeben werden, sich mit seinem Verteidiger oder mit Dritten zu besprechen (BGHSt 45, 51, 57 m.w.N.; BGH NStZ 2014, 533 m.w.N.; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2008, 209). Solange der Angeklagte oder sein Verteidiger Erörterungsbedarf anmelden, kann deshalb ein bindender Rechtsmittelverzicht nicht angenommen werden (BGH NStZ 2014, 533 m.w.N.).
Ein eindeutiger und zweifelsfreier Rechtsmittelverzicht führt unwiderruflich zum endgültigen Verlust der Rechtsmittelbefugnis und zur Rechtskraft der Entscheidung (BGH wistra 2009, 201). Er kann nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (BGH, Beschl. v. 10.11.2015 – 1 StR 520/15; BGH, Beschl. v. 15.10.2015 – 2 StR 390/15; BGH NStZ 2014, 533, 534). Eine spätere Einlegung eines Rechtsmittels ist damit ausgeschlossen (BGH NJW 1978, 330; Beschl. v. 25.4.2012 – 1 StR 80/12).
Rdn 2196
Solange Zweifel an dem Verzichtswillen des Angeklagten bestehen, liegt ein wirksamer Rechtsmittelverzicht nicht vor (BGH wistra 1999, 22; OLG Hamm NStZ 1986, 378; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2008, 209 [solange kein Rechtsmittelverzicht, wie zu erkennen gegeben wird, dass die Frage des Verzichts noch erörtert werden soll]). Die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts kann sich auch daraus ergeben, dass dem Angeklagten vom Gericht eine Verzichtserklärung abverlangt worden ist, ohne dass dieser Gelegenheit hatte, sich vorher mit seinem Verteidiger zu beraten (vgl. hierzu BGH NStZ-RR 1997, 305; OLG Düsseldorf StV 1993, 237, 238; eingehend dazu → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Verteidiger, Teil A Rdn 1751; Burhoff, HV, Rn 2189 ff.).
☆ Ausnahmsweise kann ein Rechtsmittelverzicht auch dann unwirksam sein, wenn er lediglich aufgrund einer – sei es auch irrtümlich – objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustande gekommen ist (vgl. BGH NStZ 2001, 493 m.w.N.; KG DAR 2007, 656).objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustande gekommen ist (vgl. BGH NStZ 2001, 493 m.w.N.; KG DAR 2007, 656).
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2. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung hat auf die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts keinen Einfluss (BGH NStZ 1984, 181; 329; 2006, 351; NStZ-RR 2000, 38; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Belehrung, Allgemeines, Teil A Rdn 1337, m.w.N.). Die bereits abgegebene Verzichtserklärung kann auch nicht später widerrufen oder angefochten werden (BGH NJW 1984, 1974; NStZ 1984, 181; 329; 1997, 148). Gehen allerdings gleichzeitig ein Verzicht und eine Anfechtungserklärung ein (BGH NJW 1960, 2202), oder kann nicht aufgeklärt werden, welche der beiden Erklärungen eher eingegangen ist (BGH NStZ 1992, 29), ist der Verzicht unbeachtlich.
Rdn 2198
3. Im Zusammenhang mit verfahrenserledigenden Absprachen/Verständigungen bestimmt § 302 Abs. 1 S. 2, dass der Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen ist, wenn dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen ist (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Allgemeines, Teil A Rdn 1737; s. auch noch Burhoff, HV, Rn 2202 ff.; vgl. aber BGHSt 55, 82). Der Angeklagte soll hierdurch vor einer übereilten Entscheidung geschützt werden. Das Verbot des Rechtsmittelverzichts gilt selbstverständlich erst Recht, wenn das Urteil auf einer sog. "informellen Absprache" beruht, mit welcher die gesetzlichen Regelungen umgangen worden sind (BVerfG NJW 2013, 1058 Rn 78; BGHSt 59, 21 m. Anm. Hillenbrand StRR 2014, 101; BGH NStZ 2015, 53; OLG Celle StV 2012, 141 m. Anm. Burhoff StRR 2012, 25; OLG München NJW 2013, 2371; OLG Köln NStZ 2014, 727). Ein entgegen der Regelung des § 302 Abs. 1 S. 2 erklärter Rechtsmittelverzicht ist unwirksam.
Siehe auch: → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Verzicht, Allgemeines, Teil A Rdn 1732; → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006, m.w.N.