Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 2345
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006, und bei → Revision, Verfahrensrüge, Allgemeines, Teil A Rdn 2307, sowie bei → Verfahrensverzögerung/Verzögerungsrüge, Teil B Rdn 1028, und zur Verfahrensbeschleunigung/Verfahrensverzögerung auch noch bei Burhoff, EV, Rn 4142 und bei Burhoff, HV, Rn 2826.
Rdn 2346
1.a) Will der Betroffene eine Verletzung des sich aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK ergebenden Beschleunigungsgebots rügen, muss er i.d.R. eine Verfahrensrüge erheben (BVerfG NJW 2007, 3563; Beschl. v. 14.8.2007 – 2 BvR 1305/07; BGH NJW 2005, 518; OLG Brandenburg StRR 2010, 282 [Ls.]; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Art. 6 MRK Rn 9c m.w.N.; Burhoff, HV, Rn 2851). Gemeint ist hier nur die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (vgl. zu diesem Begriff BGHSt 52, 124; zur Verfahrensverzögerung s. Burhoff, EV, Rn 4141 ff.; Burhoff, HV, Rn 2825 ff.). Diese ist nach der Rechtsprechung des Großen Strafsenats des BGH in der Weise zu kompensieren, dass der Tatrichter in seinem Urteil ausspricht, dass ein zu beziffernder Teil der verhängten Strafe als bereits vollstreckt gilt (BGH, a.a.O.). In besonders gelagerten Fällen kann zur Kompensation auch die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a notwendig sein (BGH StV 2008, 356).
Rdn 2347
Ob eine rechtsstaatswidrige Verletzung des sich aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK ergebenden Beschleunigungsgebots vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung sind insbesondere gegeneinander abzuwägen (s. Schlothauer/Weider, Revisionsverfahren, Rn 1926 ff.; wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn 4141 ff.; Burhoff, HV, Rn 2825 ff.),
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der Zeitraum der Verfahrensverlängerung, der durch Verzögerungen in der Sphäre der Justizorgane entstanden ist, |
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die Gesamtdauer des Verfahrens, |
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die Schwere des Tatvorwurfs, |
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der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes sowie |
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das Ausmaß der Belastungen für den Betroffenen aufgrund des schwebenden Verfahrens. |
Rdn 2348
2. Das i.S.d. § 344 Abs. 2 S. 2 notwendige Rügevorbringen einer Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend gemacht werden soll, ergibt sich (vgl. auch Schlothauer/Weider, Revisionsverfahren, Rn 1926 ff.) aus folgender
Rdn 2349
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Es ist mitzuteilen, wann das EV gegen den Angeklagten begonnen hat und wann dem Angeklagten die Einleitung des EV bekannt gegeben wurde (erst ab diesem Zeitpunkt sind die Belastungen spürbar). |
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Des Weiteren ist vorzutragen, wann Anklage erhoben wurde und was Gegenstand der Anklage war. |
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Der Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens und des Beginns der HV sind ebenso mitzuteilen, wie die Dauer der HV, d.h. die Zahl der HV-Tage und der Zeitraum, über den sich die HV erstreckt hat. |
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Um die Rechtsstaatswidrigkeit der Verfahrensverzögerung zu belegen, ist exakt vorzutragen, in welchen Verfahrensstadien und in welchen Zeiträumen das Verfahren seitens der Justizorgane nicht gefördert wurde. Dies kann z.B. dadurch belegt werden, dass mit der Revision die paginierten Aktenteile vorgelegt werden, die den Beginn und das Ende eines Zeitraums markieren, in dem das Verfahren ersichtlich nicht gefördert wurde. |
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Anzugeben ist auch, dass und warum die fehlende Verfahrensförderung durch die Justizorgane zu vertreten und nicht dem Angeklagten zuzurechnen ist. |
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Da mit der Revision auch solche Tatsachen vorzutragen sind, die der Rüge den Boden entziehen können, sind ggf. auch die Zeiträume darzulegen, in denen das Verfahren aus Gründen, die in der Sphäre des Angeklagten liegen, nicht gefördert werden konnte (z.B. Erkrankung, zeitintensive Verteidigungsaktivitäten). |
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Mitzuteilen ist auch die Gesamtdauer des Verfahrens von dessen Einleitung bis zum Urteil. |
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Bei Angeklagten, die sich in U-Haft befinden, sind auch die Haftdaten mitzuteilen, da hier die Beschleunigungspflicht noch stärker ausgeprägt ist und auch die für den Angeklagten aufgrund des Verfahrens bestehenden Belastungen größer sind. |
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In entsprechenden Fällen, in denen zunächst verfahrensfördernde Maßnahmen ergriffen wurden, ist schließlich im Hinblick auf dennoch entstandene Verfahrensverzögerungen vorzutragen, dass diese nicht ordnungsgemäß überwacht wurden bzw. Dritte, wie z.B. Sachverständige, nicht ausreichend durch Fristsetzung oder Mahnung zu entsprechender Verfahrensförderung angehalten wurden. |
Siehe auch: → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Allgemeines, Teil A Rdn 1289; → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006, m.w.N.; → Verfahrensverzögerung/Verzögerungsrüge, Teil B Rdn 1027.