Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die StPO kennt keine Wahrheitserforschung um jeden Preis. Die Aufklärung und Ahndung von Straftaten muss deshalb zurückstehen, wenn höherrangige Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte auf Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit entgegenstehen. |
2. |
Nach der Rspr. des BGH ist für die Annahme eines BVV eine umfassende Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. |
Rdn 2404
Literaturhinweise:
Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß
Beulke, Die Vernehmung des Beschuldigten – Einige Anmerkungen aus der Sicht der Prozeßrechtswissenschaft, StV 1990, 180
Gössel, Über das Verhältnis von Beweisermittlungsverbot und Beweisverwertungsverbot unter besonderer Berücksichtigung der Amtsaufklärungsmaxime der §§ 160, 244 II StPO – Zugleich eine Besprechung der Beschlüsse des Ermittlungsrichters und des BGH – 1 BGs 65/97 und 1 BGs 88/97,NStZ 1998, 126
Widmaier, Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust(?), NStZ 1992, 519
s. auch die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2006, bei → Revision, Verfahrensrüge, Allgemeines, Teil A Rdn 2307, bei → Revision, Verfahrensrüge, Widerspruchslösung, Teil A Rdn 2440, und zu BVV bei Burhoff, EV, Rn 1015, sowie Burhoff, HV, Rn 1018.
Rdn 2405
1. Die StPO kennt keine Wahrheitserforschung um jeden Preis (BGHSt 14, 365; 31, 308). Die Aufklärung und Ahndung von Straftaten muss deshalb zurückstehen, wenn höherrangige Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte auf Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit entgegenstehen (BGHSt 19, 325, 326). Der Wahrung dieser Rechtsgüter dienen die Beweisverbote, die die Beweisgewinnung und Beweisverwertung im Strafprozess beschränken (der Begriff Beweisverbote geht zurück auf Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess).
☆ Terminologisch herrscht rund um die Beweisverbote ein kaum durchschaubares Durcheinander (s. auch Burhoff , EV, 1015 ff., sowie Burhoff , HV, Rn 1018 ff., jew. m.w.N.). Der Verteidiger sollte sich deshalb darauf beschränken, sich einen Überblick über die Theorie der Beweisverbote und die umfangreiche Kasuistik der Rspr. zu verschaffen. herrscht rund um die Beweisverbote ein kaum durchschaubares Durcheinander (s. auch Burhoff, EV, 1015 ff., sowie Burhoff, HV, Rn 1018 ff., jew. m.w.N.). Der Verteidiger sollte sich deshalb darauf beschränken, sich einen Überblick über die Theorie der Beweisverbote und die umfangreiche Kasuistik der Rspr. zu verschaffen.
Rdn 2406
Im Folgenden sollen die Beweisverbote in Beweiserhebungsverbote und BVV unterschieden werden. Die herrschende Meinung kennt keinen Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot auch automatisch ein BVV zur Folge hat (vgl. z.B. BGHSt 19, 331; 38, 219; NStZ 1988, 142 m. Anm. Döring; NJW 1990, 1801; KK-Fischer, Einl. Rn 387; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 55). Abgesehen von den Fällen, in denen ein Verwertungsverbot ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist (wie z.B. in §§ 69 Abs. 3, 136a, 252, § 393 Abs. 2 AO, § 51 Abs. 1 BZRG), herrscht eine weitreichende Rechtsunsicherheit, die die Rspr. unkalkulierbar macht (siehe Beulke, StV 1990, 180, 184; Gössel, NStZ 1998, 126 ff.; Burhoff, EV, Rn 1015 ff.; Burhoff, HV, Rn 1018 ff.).
Rdn 2407
2.a) Nach der Rspr. des BGH ist für die Annahme eines BVV eine umfassende Rechtsgüterabwägung vorzunehmen: Dient die verletzte Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in erster Linie dem Schutz des Angeklagten, wie z.B. § 55 Abs. 2, liegt ein Verwertungsverbot fern (Rechtskreistheorie). Soll durch die verletzte Verfahrensvorschrift allerdings die verfahrensrechtliche Stellung des Angeklagten gesichert werden, liegt ein Verwertungsverbot nahe (BGHSt 38, 214, 220; vgl. dazu eingehend Burhoff, EV, Rn 1015 ff.; Burhoff, HV, Rn 1018 ff.).
Rdn 2408
b) Infolge der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 27.2.1992 (BGHSt 38, 240; fortgeführt u.a. durch BGHSt 39, 349 und 42, 15) verwendet die Rspr. bei der Frage der Verwertbarkeit unzulässig erhobener Beweise zunehmend die sogenannte Widerspruchslösung (vgl. dazu eingehend Burhoff, HV, Rn 3433). Diese besagt, dass jedenfalls der verteidigte Angeklagte ein BVV in der Revision nicht mehr geltend machen kann, wenn er der Verwertung des Beweismittels in der HV nicht rechtzeitig widersprochen hat. Hiervon ausgenommen sind nur die Fälle, in denen das Gesetz die Verwertung unzulässig erhobener Beweise unabhängig von der Zustimmung des Angeklagten verbietet, wie z.B. § 136a Abs. 3 bei verbotenen Vernehmungsmethoden.
Rdn 2409
Die Rspr. verlangt insoweit mittlerweile sogar einen sog. spezifizierten Widerspruch (BGHSt 52, 38). Es ist also nicht ausreichend, dass der Verteidiger einer Beweiserhebung bzw. Beweisverwertung überhaupt bis zum Zeitpunkt des § 257 widersprochen hat, wenn er sich später in der Revision auf das Vorliegen eines Beweisverbotes berufen möchte. Vielmehr muss er seinen Widerspruch begründen. In der Begründung ist zumindest i...