Daniel Amelung, Lars Bachler
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Versagung von AE durch die StA ist in der Hauptsache der Anwendungsfälle über § 147 Abs. 5 S. 2 gerichtlich überprüfbar. Der Anwendungsbereich der §§ 23 ff. EGGVG beschränkt sich auf wenige Fälle. |
2. |
Gerichtliche Entscheidungen über Anträge auf AE stellen keine Justizverwaltungsakte dar und sind daher nicht über §§ 23 ff. EGGVG angreifbar. |
3. |
Versagte AE im Zusammenhang mit Besetzungsfragen kann über §§ 23 ff. EGGVG gerichtlich erstritten werden. |
Rdn 488
Literaturhinweise:
s. die Hinw. → Justizverwaltungsakte, Anfechtung (§§ 23 ff. EGGVG), Allgemeines, Teil B Rdn 324, und bei → Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Akteneinsicht, Teil B Rdn 66.
Rdn 489
1.a) Zum Thema Verweigerung der AE durch die StA sind in der Vergangenheit zahlreiche Entscheidungen im Zusammenhang mit §§ 23 ff. EGGVG ergangen. Seit der aktuell geltenden Fassung von § 147 ist der Anwendungsbereich indessen deutlich minimiert worden (→ Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Akteneinsicht, Teil B Rdn 66, sowie eingehend zu den Fragen der AE Burhoff, EV, Rn 138 ff.; zu den Rechtsmitteln Teil B Rdn 424 ff.).
Rdn 490
b) Einhellige Ansicht ist, dass §§ 23 ff. EGGVG dann keine Anwendung finden, wenn einer der in § 147 Abs. 5 S. 2 benannten Fälle einschlägig ist. Denn unabhängig von der Frage, ob Entscheidungen der StA im EV über die Gewährung von AE als Justizverwaltungsakte oder als Prozesshandlungen anzusehen sind, greift jedenfalls die Subsidiaritätsklausel des § 23 Abs. 3 EGGVG ein.
Rdn 491
c) Kontrovers werden die Fälle diskutiert, die nicht unter § 147 Abs. 5 S. 2 zu subsumieren sind. Dazu folgender
Rdn 492
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Liegt keiner der in § 147 Abs. 5 S. 2 geregelten Fälle vor, ist nach h.M.im laufenden EV ein Rückgriff auf §§ 23 ff. EGGVG zur Durchsetzung von AE ausgeschlossen (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 19.8.2005 – 3 VAs 36/05, NStZ-RR 2005, 376; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 40). Demnach verbleiben allein die Möglichkeiten einer Gegenvorstellung bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde (→ Dienstaufsichtsbeschwerde, Teil B Rdn 276; → Gegenvorstellung, Allgemeines, Teil B Rdn 288 m.w.N.). Für den Fall einer willkürlichen Verweigerung der AE soll sich Rechtsschutz aus einer analogen Anwendung von § 161a Abs. 3 ergeben (OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.9.2007 – VAs 5/07, NStZ-RR 2008, 48). |
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Im Fall der Einstellung nach § 170 Abs. 2 bzw. § 154 Abs. 1 geht die h.M. von einer entsprechenden Anwendung von § 147 Abs. 5 S. 2 aus (OLG Hamm, Beschl. v. 17.10.2002 – 1 VAs 65/02, NJW 2003, 768; KK/Willnow, § 147 Rn 26; a.A. LR-Jahn/Klie, § 147, Rn 210 [§§ 23 ff. EGGVG]; a. Burhoff, EV, Rn 444 ff.). |
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Auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens soll § 147 Abs. 5 S. 2 Anwendung finden (davon offenbar ausgehend BGH, Beschl. v. 7.11.2019 – StB 24/19, NStZ-RR 2020, 50; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 39; a.A. LR-Jahn/Klie, § 147 Rn 211; Radtke/Hohmann/Hohmann, § 147 Rn 34; zu allem a. Burhoff, EV, Rn 451 ff.). |
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In dem besonderen Fall der Versagung der Einsicht in die den Ermittlungsakten nicht beigefügten Spurenakten nimmt die noch h.M. ausgehend vom BVerfG, Beschl. v. 12.1.1983 (2 BvR 864/81, NJW 1983, 1043) die Eröffnung der §§ 23 ff. EGGVG an (OLG NJW, Beschl. v. 9.1.1984 – 1 VAs 1/84, NStZ 1984, 423; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 40; KK/Mayer, § 23 EGGVG Rn 96; Kissel/Mayer, § 23 EGGVG Rn 157; SSW/StPO-Paeffgen/Grosse-Wilde, § 23 EGGVG Rn 157; Burhoff, EV, Rn 424 ff.). Auch hier hat sich aber bereits eine Gegenmeinung gebildet, die § 147 Abs. 5 S. 2 generell den Vorrang einräumt (OLG Rostock, Beschl. v. 7.7.2015 – 20 VAs 2/15, NStZ 2016, 371; KK/Willnow, § 147 Rn 26; LR-Gerson, § 23 EGGVG Rn 102; Lehmann, GA 2017, 36). |
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Handakten der StA unterliegen nicht dem Recht auf AE (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.4.2023 – 2 VAs 4/23, NJW 2023, 1753). Ein Antrag auf Vervollständigung der Ermittlungsakte aus der Handakte der StA heraus ist nicht über §§ 23 ff. EGGVG, sondern über § 147 Abs. 5 analog zu verfolgen (OLG Karlsruhe, a.a.O.). |
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Wird dem Beschuldigten AE gewährt, kann der Verletzte dies ebenfalls über § 147 Abs. 5 S. 2 anfechten (OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.3.2006 – 4 VAs 1/06, NJW 2006, 2565, 2567; a. Burhoff, EV, Rn 377). |
☆ Insgesamt ist noch einiges nicht abschließend geklärt. Verteidigern kann in entsprechenden Situationen nur empfohlen werden, auch in Zukunft um gerichtlichen Schutz nachzusuchen , um die Gerichte zu animieren, in einschlägigen extremen Fällen zumindest ein Mindestmaß an Rechtsschutz für den Beteiligten zu verwirklichen ( Burhoff , EV, Rn 465 ff.).empfohlen werden, auch in Zukunft um gerichtlichen Schutz nachzusuchen, um die Gerichte zu animieren, in einschlägigen extremen Fällen zumindest ein Mindestmaß an Rechtsschutz für den Beteiligten zu verwirklichen (Burhoff, EV, Rn 465 ff.).
Rdn 493
d) Werden die strafrechtlichen Ermittlungen durch die Finanzbehörden durchgeführt (§ 386 Abs. 2 AO), richtet sich das Recht auf AE über § 385 AO nach denselben Regelungen, die im Fa...