Daniel Amelung, Lars Bachler
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Antragsgrund nach § 359 Nr. 1 greift nur bei einer zugunsten des Verurteilten angestrebten Wiederaufnahme. |
2. |
Der Wiederaufnahmegrund ist – zumal es sich um einen verfahrensbezogenen handelt – restriktiv auszulegen. |
3. |
Es gilt der materielle Urkundsbegriff des § 267 StGB, technische Aufzeichnungen sind nicht erfasst. |
4. |
Die Urkunde muss im Ursprungsverfahren verwendet worden sein und das Urteil beeinflusst haben; die Verurteilung wegen einer Straftat ist nicht erforderlich. |
5. |
In der Antragsbegründung müssen die Urkunde und die Tatsachen, aus denen sich die Unechtheit oder die Verfälschung ergibt, ebenso bezeichnet werden wie die Verwertung der Urkunde in der Verhandlung und die theoretische Möglichkeit einer nachteiligen Beeinflussung des Urteils durch sie. Aufgrund einer Kausalitätsvermutung braucht die tatsächliche Beeinflussung nicht dargelegt zu werden. |
Rdn 1229
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1103, m.w.N.
Rdn 1230
1. Der Antragsgrund nach § 359 Nr. 1 greift nur bei einer zugunsten des Verurteilten angestrebten Wiederaufnahme. In der HV, die Grundlage der rechtskräftigen Verurteilung war, muss zu seinen Ungunsten eine Urkunde als echt angesehen worden sein, die tatsächlich aber unecht oder verfälscht war (Marxen/Tiemann, Rn 135).
Rdn 1231
2. Der Wiederaufnahmegrund nach Nr. 1 ist restriktiv auszulegen, nachdem in § 362 Nr. 1 ein identischer Wiederaufnahmegrund auch zuungunsten des Verurteilten normiert wurde, der Gesetzgeber diese Wiederaufnahmegründe nur sehr eng umgrenzt halten wollte und zudem verfahrensbezogene Wiederaufnahmegründe nach dem Willen des Gesetzgebers generell zurückhaltend angewendet werden (Marxen/Tiemann, Rn 136) sollten.
☆ Durch die enge Auslegung der Nr. 1 und auch der übrigen verfahrensbezogenen Wiederaufnahmegründe entsteht dem Verurteilten indes kein Nachteil, da in Grenzfällen stets § 359 Nr. 5 herangezogen werden kann ( Marxen/Tiemann , Rn 136).in Grenzfällen stets § 359 Nr. 5 herangezogen werden kann (Marxen/Tiemann, Rn 136).
Rdn 1232
3.a) Es gilt der materielle Urkundenbegriff des § 267 StGB (Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn 4 m.w.N., Miebach/Hohmann, Wiederaufnahme in Strafsachen, 2016, Kap. E.I.1.a) bb)). A.A. sind Peters, Fehlerquellen, S. 48 und Marxen/Tiemann (Rn 136): Nach ihrer Auffassung soll der prozessuale Urkundenbegriff des § 249 gelten. Marxen/Tiemann argumentieren dabei damit, dass allein dieser prozessuale Urkundenbegriff, wonach eine Urkunde i.S. des § 359 Nr. 1 nur schriftliche Gedankenerklärungen sind, die beweisgerichtet und handschriftlich unterzeichnet sind, der gebotenen restriktiven Auslegung gerecht werde (zur weiteren Begründung Marxen/Tiemann, Rn 138 f.). Ob technische Aufzeichnungen ebenfalls unter den Urkundsbegriff des § 359 Nr. 1 fallen (so Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn 9), dürfte dagegen wegen der auch im materiellen Recht deutlichen Unterscheidung (§ 268 StGB) zw. sein (s.a. Marxen/Tiemann, Rn 139 m.w.N.; für eine analoge Anwendung KK/Tiemann, § 359 Rn 6).
Rdn 1233
b)aa) Urkunde i.S. des § 359 Nr. 1 ist damit eine verkörperte Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen und die ihren Aussteller erkennen lässt (statt vieler BGHSt 3, 85; Schönke/Schröder/Schuster/Heine, § 267 Rn 2). Dies wird teilweise anders gesehen (Nachw. bei Fischer, § 267 Rn 2), hat sich aber in der Rspr. nicht durchgesetzt.
Rdn 1234
bb) Verfälscht ist eine Urkunde, wenn die bereits fixierte Gedankenerklärung in eine andere verändert, also die Beweisrichtung geändert wird (BGH GA 1963, 17). Dies ist selbst dann der Fall, wenn der Inhalt dadurch erst inhaltlich "wahr" wird (Fischer, § 267 Rn 33). Auch der Aussteller selbst kann die Urkunde verfälschen (Fischer, § 267 Rn 34 m.w.N.).
Rdn 1235
cc) Unecht ist die Urkunde, wenn sie ausgestellt wird, als sei sie von einer anderen Person, also eine Identitätstäuschung vorliegt (Fischer, § 267 Rn 27). Es wird also über die Person des Ausstellers getäuscht (BGHSt 1, 121). Daran fehlt es z.B., wenn der Aussteller regelmäßig ein Pseudonym verwendet, sich aber unter diesem anderen Namen den Inhalt der Erklärung zurechnen lassen will (BGHSt 33, 159). Es liegt dann keine Identitätstäuschung, sondern lediglich eine Täuschung über den Namen vor, was zwar eine schriftliche Lüge, aber nicht vom Tatbestand des § 267 StGB erfasst ist (dazu auch Seier JA 1979, 133, 136).
Rdn 1236
4. Es gelten folgende Antragsvoraussetzungen:
a) Die Urkunde muss im Ursprungsverfahren zum Beweis für ihren Inhalt verwendet (§§ 249, 251, 256) und durch Verlesung (§ 249 Abs. 1, Abs. 2) ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt worden sein, denn nur dann ist sie als echt vorgebracht worden. Sofern nicht verlesbar, muss die Urkunde in Augenschein genommen worden sein.
☆ Der bloße Vorhalt genügt dagegen nicht ( Marxen/Tiemann , Rn 141, Meyer-Goßner/Schmitt , § 359 Rn 7; KK/ Tiemann , § 359 Rn 7; LR- Schuster , § 359 Rn 20; a.A. KMR- Eschelbach , § 359 Rn 53,...