Daniel Amelung, Lars Bachler
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Wiederaufnahmeziele zuungunsten des Angeklagten sind gesetzlich nicht normiert. |
2. |
Der Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Angeklagten ist nur zulässig, um eines der folgenden, vom Gesetz eng vorgegebenen Ziele zu erreichen, nämlich die Freisprechung des Angeklagten, die wesentlich andere Entscheidung über die Maßregel der Besserung und Sicherung, die geringe Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes oder in den Fällen des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 auch eine Schuldspruchänderung. |
3. |
Die Freisprechung des Angeklagten lässt sich nur erreichen mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln. |
4. |
Die Wiederaufnahme kann auf eine wesentlich andere Entscheidung über die Maßregel der Besserung und Sicherung abzielen. |
5. |
Ziel der Wiederaufnahme kann es auch sein, mithilfe eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung anzustreben. |
6. |
Die Schuldspruchänderung als Ziel der Wiederaufnahme in den Fällen des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, ist aber gleichwohl höchstrichterlich anerkannt. |
Rdn 1459
Literaturhinweise:
Marxen/Tiemann, Die Korrektur des Rechtsfolgenausspruchs im Wege der Wiederaufnahme, StV 1992, 534
s.a. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1103.
Rdn 1460
1. Wiederaufnahmeziele zuungunsten des Angeklagten sind gesetzlich nicht normiert. Es genügt daher, eine vom Tenor des angegriffenen Urteils zum Nachteil des Angeklagten abweichende Entscheidung anzustreben, also im Fall eines Freispruchs die Verurteilung, andernfalls eine Strafschärfung oder eine Verschärfung der Maßregel (Marxen/Tiemann, Rn 298).
☆ Dabei darf – im Fall einer schon bestehenden Verurteilung – nur eine Änderung des Hauptstrafenausspruchs und zudem nur eine wesentliche Veränderung der Strafe bzw. der Maßregel zum Nachteil des Verurteilten angestrebt werden ( Marxen/Tiemann , Rn 299).nur eine wesentliche Veränderung der Strafe bzw. der Maßregel zum Nachteil des Verurteilten angestrebt werden (Marxen/Tiemann, Rn 299).
Rdn 1461
2.a) Der Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Angeklagten ist nur zulässig, um eines der folgenden, vom Gesetz eng vorgegebenen Ziele zu erreichen, nämlich die Freisprechung des Angeklagten (Teil B Rdn 1463 ff.), die wesentlich andere Entscheidung über die Maßregel der Besserung und Sicherung, die geringe Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes oder in den Fällen des § 359 Nr. 1 bis 4 und 6 auch eine Schuldspruchänderung.
☆ Diese Ziele sind ausdrücklich zwar nur in § 359 Nr. 5 StPO formuliert, werden aber allgemeingültig auf alle Wiederaufnahmegründe angewendet ( Marxen/Tiemann , Rn 69; Meyer-Goßner/Schmitt , § 359 Rn 2; LR- Schuster , § 359 Rn 9; KK/ Tiemann , § 359, Rn 4).allgemeingültig auf alle Wiederaufnahmegründe angewendet (Marxen/Tiemann, Rn 69; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn 2; LR-Schuster, § 359 Rn 9; KK/Tiemann, § 359, Rn 4).
Rdn 1462
b) Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass allein eine mildere Bestrafung aufgrund desselben Strafgesetzes kein zulässiges Wiederaufnahmeziel ist. Es genügt also nicht, wenn die Verurteilung wegen eines nur minder schweren Falls angestrebt wird (OLG Stuttgart Justiz 2004, 26). Auch die Verurteilung wegen verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB ist nach § 363 Abs. 2 kein zulässiges Antragsziel (krit. Marxen/Tiemann, Rn 99 unter Verweis auf SK-Frister, § 363 Rn 21 f., die sich kritisch zu dieser Ausnahmevorschrift äußeren und deren Verfassungsmäßigkeit bezweifeln; anders aber noch BVerfGE 5, 22, 23 f.). Zudem folgt aus § 359 Nr. 5, dass es nicht isoliertes Ziel der Wiederaufnahme sein kann, anstelle einer Freiheitsstrafe die erstmalige Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu erreichen (OLG Köln, NStZ-RR 2011, 382). Es kann lediglich eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel – etwa deren erhebliche Verkürzung oder der Austausch durch eine andere Maßregelart – erreicht werden. Schließlich sind weder § 47 Abs. 1 StGB noch § 56 StGB mildere Strafgesetze i.S. des § 359 Nr. 5 (OLG Nürnberg NStZ-RR 2015, 318).
Rdn 1463
3.a) Die Freisprechung des Angeklagten lässt sich nur mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln erreichen, die entweder geeignet sind, die Täterschaft des Angeklagten ganz auszuschließen oder zumindest Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe belegen können (Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn 38; Marxen/Tiemann, Rn 71; Fornauf StraFo 2013, 235). Wird im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags die Schuldunfähigkeit des Angeklagten vorgetragen und damit der Freispruch angestrebt, ist dies zwar zulässig; es kommt aber die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht (Marxen/Tiemann, Rn 72; aber OLG Köln NStZ-RR 2011, 382). Der Hauptanwendungsfall in der Praxis ist dabei das Bestreiten der Täterschaft und die Darlegung eines von den Urteilsfeststellungen abweichenden Geschehensablaufs (a. Marxen/Tiemann, Rn 73).
Rdn 1464
b) Soweit ersichtlich, sind bislang entschieden worden folgende